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Pfingst-Bermudadreieck

■ Ein Frankfurter unterwegs auf der Suche nach dem Bremer Charme / Von Schlickersachenverkäufern, Rasenschlachten und Kunst auf Papier

Pfingstloch - das sagt Ihnen doch etwas, oder? Alle machen Ferien, und wir sollen eine Zeitung produzieren. Aktuell, wie es sich gehört, wo doch rein gar nichts passiert und die Nachrichten ebenfalls in Urlaub sind. Also machen wir das zum Thema, was alle machen - machen wir uns auf die Su

che nach den urbanen Refugien, den innerstädtischen Luftkurorten und Badedorados? Mich, den Neuen, gerade aus Frankfurt nach Bremen übergesiedelt, schickt man los - auf Exkursion. Was kann ich berichten? Vom Wasser vielleicht. Da könnten sich die Frankfurter einiges abgucken, den Main gibt es nur als Verkehrsader und Kulisse, am Herzen liegt er der Stadt nicht. Das scheint in Bremen anders zu sein. So eine wunderschöne Fähre, Aufstand gegen das herrschende Zeit -Diktat, wie am Sielwall rüber zum Cafe Sand, das ist was besonders Feines.

Drüben angelangt gerate ich in einen Betriebsausflug ortsansässiger Kinderläden. Anna und Lena schmeißen die Bank um, Nils wird immer von seinen kleinen Kumpels aus dem Rasen -Ski gekippt, der Rest schüttet Apfel

saft um und hält die herzensguten Bezugspersonen auf Trab. Die rächen sich und opfern einige Kinder dem Pollux. Dem Gott der Wasserverschmutzung, Herr über die Weser und ihre Nebenflüsse.

Später, nach einer kleinen Irrfahrt durch Laubenkolonien und Schrebergärten, vorbei an radelnden Twens und dösenden Hunden beobachte ich die Bleichgesichter am Werdersee. Große blasen Luftmatratzen auf, die Kleinen trainieren verbissen für das nächste Fischerstechen in der Schlauchbootklasse.

Vor dem Polizeihaus wechseln sich die Liegenschaften ab. Seriös und ernsthaft kauert der versammelte Zeichennachwuchs an der Kreuzung, kaut an unzähligen Zeichenstiften und bannt das malerische Bauwerk aufs schlechte Papier. Männer in Shorts bestim

men das Straßenbild, temporäre Flaneure, Müßiggänger auf Zeit.

Parkallee: Gehen sie direkt über Los, machen Sie keinen Umweg, ziehen Sie sofort 4.000 Mark ein. Nichts von alledem. Ab in den Bürgerpark.

Eine Brücke mit Ausblick ins Fantasialand. Unter mir ein kleiner Weiher, mit all den Entchen, die gerade nicht auf der Strasse herumstolzieren. SonnenanbeterInnen im hohen Gras und dahinter Kühe auf einer Lichtung, eingerahmt von einem ebenmäßigen und dichten Laubwald. Vis a vis, dort wo die Lichtung nicht ganz dicht ist, ein verwunschenes Häuschen, mit Spitzgiebeln und Arkaden, resedagrün. Auch hier mehr Kinderwagen als Kühe. Die Welt ist voll junger Mütter.

Ich biege um die Ecke und krieg fast die Kurve nicht. Bangkok. Ja wirklich, das Wasserbild ist den Klonks von Bangkok abgekupfert. Kleine Dschunken vor hölzernen Pfahlbauten. Winzige Parzellen, Farn-Umwuchert. Tiefbraun ist die stehende Brühe, bedeckt mit ganzen Planzenstrunken. Kieloben schwimmen Seerosenblätter.

Am Torfkanal entlang zum Unisee. „Ich möchte ääh für zehn Pfennich Mäuse und vier Teufelsschlangen und wieviel kostet das da und ein Nappo und Lutscher für dreißig Pfennich und ääh wieviel ist das jetzt zusammen na gut dann ein Lutscher weg und noch zwei Gummis mehr.“ Schlickersachenverkäufer am Unisee möchte ich auch mal werden. Dorthin hat es mich auf meiner Reise zu den metropolitanen Sonnenidyllen zuguterletzt verschlagen. Auf zu den textilfreien Zivilisationsflüchtern, die unverhüllt der Sonne frönen und das „Ohne Alles“ zum Credo erheben. So legen sie alles ab, bis auf den Walk-Man. Ich mittenmang. „Teilnehmende Beobachtung“ nennt das der aufgeschlossene Wissenschaftler und verliert alle Distanz. Und ich, ich fiebere ab heute dem Sommerloch entgegen. Und werde die lauschigen Apfelweinkneipen in den verwinkelten Bornheimer Gässchen vermissen, die in lauen Sommernächten das Dorf in der Stadt Frankfurt hochleben lassen.

Andreas Hoetzel.

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