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Die Stille ist vorbei

Doppeltes Glück löst Maradonas Zunge  ■  PRESS-SCHLAG

Einstmals war es der Brauch bei feudalen Herren, an Tagen besonderen familiären Glücks das Volk teilhaben zu lassen mittels Armenspeisung oder Gnadenakt. So mußte denn auch nicht weiter verwundern, daß am späten Mittwoch abend einer etwas Gunst gewährte, der sich selbst quasi als verlängerten Arm einer höheren Macht sieht. Die Hand Gottes hatte den UEFA-Pokal gestreichelt, und sie wird heute dasselbe mit Giannina Dora tun (3.900 Kilogramm), der neugeborenen Tochter in Buenos Aires. Soviel Glück im fußballernden Vaterherz, das wollte Diego Maradona einfach loswerden.

Mithin konnte notiert werden: Dank an den VfB wegen seines Beitrages zum Fußballfest; das telefonische Versprechen, den Pokal mit nach Argentinien zu bringen, wird eingelöst; es ist schön, Kapitän einer solchen Mannschaft zu sein. Wenngleich diesen Äußerungen auch auf den zweiten Blick nicht allzuviel Bedeutung zukommt, für die italienische Presse ist schon genug, daß sie überhaupt gemacht wurden. Seit dem 29. Januar nämlich war sie von Neuigkeiten ähnlichen Tiefgangs weitgehend abgeschnitten.

Die Spieler des SSC Neapel hatten sich damals auf ein silenzio stampa geeinigt. Falsch interpretiert und wiedergegeben fühlten sie sich, kein Wort mehr sollte an die Wortverdreher gerichtet werden. Lediglich den Empfängern des lokalen Canale 10 wiederfuhr Montag für Montag große Gnade: Für die Summe von 500.000 Lire hielt dann Don Diego televisonäre Audienz. Vorbei, vorbei, auch das ist ausgestanden. Wieder ein bißchen Kitt für die Beziehungkiste zwischen der argentinischen Diva und den Verehrern.

Nicht mehr ganz ungetrübt schien dieses Verhältnis: bestürzt registrierten Beobachter vor sechs Wochen erste Anti-Maradona-Parolen in Neapels Straßen, was den Geschmähten einer tiefen Krise zuführte. Der Rücken malad, die Liebe entzogen, mußten da nicht Gedanken aufkommen, den Ort fußballerischen Handelns zu verlegen? Eine absurde Idee.

Nirgendwo sonst würden dem Jongleur seine Privilegien so neidlos gebilligt; nirgendwo sonst fände er ein Publikum mit dem feinen Gespür für seine dramatische Gestik. Maradona geht nicht, er stolziert. Er kommt nicht zum Training, er tritt auf. Ein Tor im Übungsspiel? Er wendet sich zur Tribüne wie der Heldentenor nach dem dritten Vorhang, in die Brust geworfen, die Arme ausgestellt, als hätte er Zitronen in den Achselhöhlen versteckt.

Sie schätzen das, die Tifosi am Vesuv. Und jetzt, da Maradona geholfen hat, den Pokal zu gewinnen, im hundertsten Spiel Neapels auf europäischer Ebene, auf den Tag genau zwei Jahre nach der ersten Meisterschaft, sollten doch die letzten Irritationen beseitigt ein.

Zeit, in jenen Zustand zu versinken, den der „Corriere della Sera“ schon vorausgesehen hat: Delirio.

Thömmes

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