Gesetze gegen das „Minderwertige“

■ In Japan erhielt die Abtreibungsgesetzgebung nach dem 2. Weltkrieg einen stark eugenischen Einschlag / Frauengruppen wehrten sich erfolgreich gegen weitere Verschärfungen / Kritik an der Verbindung von Eugenik und moderner Fortpflanzungstechnik

In der öffentlichen Debatte über Gen- und Fortpflanzungstechnologien wurde Japan bisher nur in einem Zusammenhang erwähnt: Als nach den USA zweitstärkster Konkurrent der bundesdeutschen Gentech-Industrie. Vielleicht weil es dort keine so publikumswirksamen Kritiker wie Jeremy Rifkin gibt, erfuhren wir nichts über öffentliche Auseinandersetzungen oder Aktivitäten gegen die Entwicklung und Anwendung dieser Technologien. Doch Widerstand gibt es, insbesondere von japanischen Frauen, und zwar schon seit Anfang der achtziger Jahre, Satoko Nagaoki, Biologin an der Keio Universität in Yokohama, war Teilnehmerin an der internationalen Frauen-Konferenz in Bangladesch.

taz: Welche Organisation vertrittst du hier, Satoko, und was ist das Ziel eurer Arbeit?

Satoko Nagaoki: Ich bin Mitbegründerin zweier Organisationen. Die erste, ältere heißt „SOSHIREN“, das bedeutet „Komitee gegen die Novellierung des „Eugenischen Schutzgesetzes“. Die zweite Gruppe ist die „Frauenvereinigung gegen Neue Fortpflanzungstechnologien“. Wir wenden uns gegen die eugenische und frauenfeindliche Ausrichtung der Abtreibungsgesetze in Japan, sowie gegen die Anwendung neuerer Techniken wie In-vitro-Befruchtung, fötale Diagnose und Therapie und vorgeburtliche Geschlechtsbestimmung.

Warum seid ihr dagegen, ein Eugenikgesetz zu novellieren?

Ich muß zunächst kurz die Geschichte und Inhalt dieses Gesetzes und die geplanten Änderungen erläutern. Abtreibungen sind in Japan seit 1880 Straftaten, besonders verfolgt wurden sie im Zweiten Weltkrieg, als das Kinderkriegen zur „nationalen Mission“ der Frauen erklärt wurde.

Geändert hat sich das erst nach dem Krieg; ein so starkes Bevölkerungswachstum war nicht mehr erwünscht, vor allem gab es dafür eugenische Gründe. Man befürchtete nicht nur als „minderwertig“ bezeichnete Kinder, als Folge der atomaren Strahlen, sondern auch „minderwertige Mischlingskinder“ aus Verbindungen zwischen Japanerinnen und Besatzungssoldaten anderer Rassen. Nur deshalb, und nicht im Interesse der Frauen, wurde die Abtreibung in einigen Fällen legalisiert. Das 1948 verabschiedete „Eugenische Schutzgesetz“ erlaubte auch die Sterilisation. Der Schwangerschaftsabbruch wurde mit Zustimmung des Ehemanns - erlaubt, wenn die Frau an einer Erbkrankheit, einer psychischen Erkrankung oder Lepra litt oder vergewaltigt wurde. Ein Jahr später wurde eine Abtreibung auch dann erlaubt, wenn die Schwangerschaft oder Geburt die Gesundheit der Frau aus „körperlicher oder ökonomischer Sicht“ ernsthaft beeinträchtigen würde.

Anträge zur Änderung des Gesetzes wurden 1972, 1974 und 1982 im Parlament beraten. Dabei ging es nicht etwa darum, die eugenische Ausrichtung des Gesetzes abzuschaffen. Im Gegenteil: Ein neuer Absatz sollte den Abbruch explizit erlauben, wenn zu erwarten sei, daß „das Kind mit einer physischen oder geistigen Behinderung geboren werden würde“.

Sind diese Änderungen verabschiedet worden?

Nein. Schon Anfang der siebziger Jahre gab es starke Diskussionen und Proteste von Frauengruppen und Behindertenorganisationen. Aber die beabsichtigten Veränderungen wurden fast zum fait accompli durch die Ausweitung von Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung im 4. Monat) und Ultraschalluntersuchungen und durch „Aufklärungskampagnen“ der Regierung in den Massenmedien, die die Idee verbreiteten, es sei schrecklich, ein behindertes Kind zu gebären. Als 1982 die Vorschläge wieder auf dem Tisch lagen, wurde das Komitee als Zusammenschluß verschiedener Frauengruppen aus ganz Japan gebildet. Wir haben Unterschriften gesammelt, Veranstaltungen gemacht und Großkundgebungen in Tokio, Osaka, Kioto und Sapphoro organisiert. Es gab damals sogar einen einwöchigen Hungerstreik von Frauen.

Weil diese Änderungen nicht durchgesetzt werden konnten, versucht man nun die gleichen eugenischen Ziele durch eine Änderung des „Gesetzes zur Gesundheit von Mutter und Kind“ zu erreichen. Das „Eugenische Schutzgesetz“ ist an sich abscheulich und müßte abgeschafft werden.

Wie sieht eure Arbeit heute aus? Gibt es immer noch ein Bündnis mit Behindertengruppen, zum Beispiel auch gegen gentechnische Vorhaben?

Viele Menschen, besonders Frauen, aus der Behindertenbewegung sind auch aktiv in den Gruppen gegen Fortpflanzungstechniken. Die Diskussion über das Aufleben der Eugenik wurde gerade nach Tschernobyl stark geführt, auch in der Anti-Atom-Bewegung. Es gibt auch Konflikte zwischen Frauen und Teilen der Behindertenbewegung, weil manche Behinderte gegen jede Abtreibung sind. Aber wir arbeiten viel zusammen, wenn es um den Widerstand gegen pränatale Diagnose oder Geschlechtsbestimmung geht, Techniken, die in Japan immer häufiger angewandt werden. Es gibt auch schon seit Anfang der achtziger Jahre Gentechnologie-Gruppen in Japan. Eine lokale Initiative hat sich zum Beispiel sehr lange, leider ohne Erfolg, gegen den Bau eines P4-Gentechnologie-Labors (Labor der höchsten Sicherheitsstufe, P.B.) in ihrer Stadt gewehrt.

Interview: Paula Bradish