Drahtzieher im Hintergrund

■ Mit Herrmann Höcherl starb ein Insider der bundesdeutschen Geheimdienstszene

Berlin (taz) - Mit Herrmann Höcherl, so klagte gestern CSU -Generalsekretär Erwin Huber, habe die Partei und die Republik einen Vollblutpolitiker verloren, der über viele Jahre das Bild von Bayern in der BRD geprägt habe. Er sei vielseitig, kenntnisreich und originell gewesen. Höcherl galt als witzig, tolerant, schlau und war - passend zu diesem Bild - Landwirtschaftsminister im Kabinett Erhard und dann in der Großen Koalition. Doch seine bayrische Musterfassade ist schon auf den ersten Blick nicht ganz stimmig. Höcherl war alles andere als der gemütliche Bauer, der es ob seiner sprichwörtlichen Schläue bis zum Minister gebracht hat. Zuerst einmal, der gemütliche Franke war überhaupt nie Bauer, sondern Jurist. Hinter seinem breiten Dialekt und jovialen Habitus verbarg sich ein scharfer, juristisch geschulter Verstand, den Höcherl uneingeschränkt in den Dienst der „wehrhaften Demokratie“ stellte. So war sein prägendes Ministeramt denn auch nicht die Landwirtschaft, sondern seine Zeit als Bundesminister des Innern. 1962 schrammte er so gerade durch die Spiegel -Affäre, ein Jahr später kam er wegen einer Telefonabhöraffäre in Bedrängnis. Aus dieser Zeit stammt Höcherls Credo, der Verfassungsschutz könne schließlich nicht immer mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen eine Auffassung, die sicherlich dazu beitrug, daß Höcherl den Geheimen Zeit seines Lebens innig verbunden blieb. So wurde aus dem Mann, der nach außen wie die liebenswürdige Ausgabe des kleinen Bruders von Strauß wirkte, tatsächlich nach und nach die Graue Eminenz der bundesdeutschen Geheimdienste. Nachdem er 1976 aus dem Bundestag ausschied, widmete er sich diesem Metier auch über die Parteigrenzen hinweg. Als einziger CDU/CSUler war er in einer von Schmidt eingesetzten Expertenkommission Anti-Terrorismus. So stand er auch 1978 als „unabhängige Persönlichkeit“ zur Untersuchung der Fahndungspannen bei der Schleyer-Entführung zur Verfügung und brachte damit Maihofer zu Fall. Wann immer es seitdem in einem der Geheimdienste kriselte - Höcherl war zur Stelle. Als Wörner-MAD seine Schwulenhatz auf General Kießling ausdehnte und sich bis auf die Knochen blamierte Höcherl richtete den MAD wieder auf. Als Tiedge vom Verfassungsschutz zum Stasi überlief - Höcherl machte sich an die Arbeit, um den Scherbenhaufen in Köln wieder zusammenzukitten. Und, um das Bild abzurunden, als Deutschlands „Superagent“ Werner Mauss in Bedrängnis kam und einen Anwalt brauchte, war es kein anderer als Herrmann Höcherl, der ihn vertrat. Man darf gespannt sein, ob der Mann es bei aller Umtriebigkeit noch geschafft hat, seine Memoiren zu schreiben.

Jürgen Gottschlich