: Raketen: Bonn auf dem Rückzug
■ Im Streit um die atomaren Kurzstreckenwaffen setzen die USA ihre Interpretation durch: Verhandlungen über atomare Kurzstreckenwaffen sind an „bedeutende Fortschritte“ bei den Wiener Verhandlungen gekoppelt
Washington/Bonn (dpa/taz) - Ein bundesdeutscher Kniefall vor der Bush-Regierung wird wahrscheinlicher: Bei den Gesprächen von Verteidigungsminister Stoltenberg in Washington zeichnete sich ab, daß die Bonner Position auf ein verklausuliertes Nein zu den Verhandlungen über atomare Kurzstreckenwaffen hinausläuft.
Stoltenberg flog am Mittwoch nach Washington und wird für den heutigen Samstag zurückerwartet. Am Donnerstag hieß es in amerikanischen Regierungskreisen, die Bundesregierung habe eine „flexiblere Haltung“ eingenommen. Stoltenberg hatte ein neues Koalitionspapier dabei, in dem die Forderung nach „baldigen“ Verhandlungen erhoben wurde. Das Wort „baldig“ erhielt dabei auch deshalb eine neue Bedeutung, weil die Verhandlungen über atomare Kurzstreckenwaffen davon abhängig gemacht wurden, ob „zu einem bestimmten Zeitpunkt“ bei den Wiener Verhandlungen über konventionelle Waffen Ergebnisse erzielt worden sind.
In Washington gebrauchte Stoltenberg nicht mehr den Begriff „baldig“, sondern sprach von Verhandlungen „in absehbarer Zeit“. Er betonte: „Bald heißt nicht jetzt und sofort, aber auch nicht Vertagung um viele Jahre“. Stoltenberg sagte, man befinde sich „in der letzten Phase der Erörterung“. Nach Informationen aus deutschen und amerikanischen Regierungskreisen könnten sich die USA und die BRD darauf verständigen, daß über die atomaren Kurzstreckenwaffen nur verhandelt wird, wenn bei den Verhandlungen über die konventionellen Waffen „bedeutsame Fortschritte erzielt worden sind. Eine hochrangige Arbeitsgruppe solle definieren, wann der Beginn von Verhandlungen über die Kurzstreckenwaffen gerechtfertigt sei.
Der CDU-Politiker Rühe sagte zur Frage eines möglichen Kompromisses, daß die konventionellen Verhandlungen „Priorität“ hätten und von der Zeit und von der Substanz her bedeutender seien. Schnelle Ergebnisse in Wien könnte sicherlich auch den Beginn der Verhandlungen über atomare Kurzstreckenwaffen beschleunigen. Die deutsche Seite müsse aber klar machen, daß nicht der Abbau auf null, sondern nur gleiche Obergrenzen angestrebt werden. Auch der CDU -Politiker Dregger sagte, er könne sich als Kompromiß vorstellen, daß die NATO eine dritte Null-Lösung ausdrücklich unter den gegebenen Umständen „als nicht verhandelbar“ ausschließe.
Der französische Staatspräsident Mitterrand machte am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Paris deutlich, daß seiner Auffassung nach bis zum Jahre 1992 überhaupt keine Verhandlungen über die Kurzstreckenwaffen nötig sind. Die USA werteten dies als Unterstützung ihrer Position.
Urs
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