„Flohmarkt, das ist wie Urlaub“

■ Zwischen Entrümplern, Schwarz- und Gelegenheitshändlern auf den Bremer Flohmärkten / Absurdes und Nützliches zum ersten, zum zweiten, zum Schleuderpreis / Geschäfte gehen gut, es sei denn es ist zu naß oder heiß

Lampenschirme, Halsketten, Hosenträger, Frühlingszwiebeln, Fahrräder, Katzen- und Hundeschädel, Fladenbrote und Pistazien kiloweise - bunt ist das Angebot und bunt ist die Kulisse: Flohmarkt. Wer sich danach sehnt, der kommt in Bremen gleich zweimal in der Woche auf seine Kosten, samstags am Weserufer und sonntags an der Bügerweide.

Geht man an einem Samstag Flohmarkt-shopping, trifft man sehr wahrscheinlich auch Hans J., einen Flohmarktveteranen vom harten Kern. Da müßte schon sehr schlechtes Wetter sein, damit er darauf verzichtete, früh um vier Uhr mit seinem Fahrradanhänger an seinen Stammplatz unter der Wilhelm -Kaisen-Brücke zu ziehen und auf den Tag zu warten. Er gehört zu der Sorte Verkäufer, für die der wöchentliche

Flohmarkt mehr ist, als ein willkommener Nebenverdienst. Flohmarkt ist seit 10 Jahren ein Teil von ihm und mit seiner blauen Wimperntusche und den bunt lackierten Finger-und Fußnägeln ist der Mitfünfziger auch ein Teil Bremer Flohmarktkultur.

Mehr auf schnelles Geld aus ist dagegen ein Modelleisenbahner, der sich ungern befragen läßt und anonym bleiben will. Für seine Kataloge und Broschüren verlangt er Stückpreise von bis zu 20 Mark. Allerdings verkaufen sich seine 15 Jahre Fleischmann (1965-70) schlecht. Weserflohmarkt-Kunden interessieren sich mehr für andere Sammlerstücke, zum Beispiel für Briefmarken. Darüber freut sich der Philatelist Georg B., der seit 10 Jahren den Bremern seine Klebeschnipsel feilhält. Allerdings: „Teure Marken lassen sich hier nicht verkaufen.“ Statt dessen: 10 Pfennig für seine Doppelten, das lohnt sich für den 56jährigen, der stolz erzählt: „Ich habe auch schon die Blaue Mauritius in der Hand gehabt.“

„Sammler“ nennt sich auch ein junger Plattenhändler mit reichhaltigem Angebot, das angeblich nur aus der privaten Sammlung stammt. „Ich zieh mir jetzt nur noch reinen Blues rein“, begründet er den Ausverkauf. Sein Argwohn dem Fragenden gegenüber ist kaum zu überhören.

Sammelhobbies scheinen bei vielen Verkaufenden das Motiv zu sein. Wilhelm B.aus Wilhelmshaven, für ein Reiseunternehmen tätig, verkauft Steine. Seine Stücke, die er von Dienstreisen mitbringt, seien in Bremen sehr gefragt, die Einnahmen kommen seiner Reisekasse zugute. „Viele meiner Kunden sind Esoteriker, die in den Steinen Kräfte vermuten“, weiß der seit 20 Jahren Sammelnde.

Die Musiker der Sulinger Rockband „In Or You“ bessern die Bandkasse auf ihre Weise auf: Aus alten Baßsaiten, Silberdraht und Bruchstücken von Schlagzeugbecken fertigen sie Ohrringe. „Was die im Laden für 20 Mark verkaufen, mach‘ ich für nicht mal den halben Preis“, sagt Andre. Sie haben auch schon ein Angebot von einem Bremer Schmuckladen, dort Ware in

Kommission zu geben.

Wenn's regnet, sind die Geschäfte schlecht, wenn es zu warm ist auch, denn, so ein Bücherhändler: „Dann sind die Leute zu faul zum Kaufen.“ Ein farbiger T-Shirtverkäufer hat zur mangelnden Kauffreudigkeit seine eigene Erklärung: „Now the moon is in the middle.“

Für einen ist kein Platz auf dem Markt: Ein junger Kunststudent, der Portraits für fünf Mark zeichnen wollte, hat kein Geld für die Standgebühr. Die vier Mark pro laufenden Meter hole er nicht herein:“ Bremer sind nicht eitel genug.“ Er muß einpacken.

Bremer Flohmärkte werden von Menschen aus verschiedensten Regionen und Ländern genutzt. Jörg K. aus Hamburg verkauft seit 5 Jahren in Bremen: „Hier sind die Leute netter“. Allerdings geht er zum Verkaufen nie auf die Bürgerweide. Dort sei es zu „hektisch“.

Konstantin, überzeugter Bürgerweidist meint dagegen zum Weserflohmarkt: „Nur geiziges Volk.“ Tatsächlich scheinen die Kunden auf der als kommerziell verschrieenen Bürgerweide eher höhere Beträge zu zahlen. Antiquitätenhändler mit hohen Preisen prägen das Bild. Auch Klamottenhändler mit Boutiquepreisen sind eher dort anzutreffen. Beide Flohmärkte sind jedoch für sozial schwächere Bevölkerungsschichten wie die Sozialhilfeempfängerin Gunda S. eine wichtige Einnahmequelle. Und eine Jeans für ein Zwei-Mark-Stück kann man sich immer erhandeln.

In Oldenburg und Hamburg wurden Flohmärkte bereits verboten. Begründung der Bürokratie: „Hintergehung des Ladenschlußgesetzes.“ Viele, gerade der sozial Schwachen fürchten, daß dieses Schicksal auch den Bremer Märkten blühen könnte. „Es geht immer auf die kleinen Leute“, meint ein 48jähriger, der Erbstücke zu Geld machen will. „Dabei ist der Flohmarkt so schön, Alt und Jung begegnet sich hier

-wo gibt's denn sowas noch?“ Oder, wie es Gertrud und Sophia ausdrücken, die den Flohmärkten seit 20 Jahren treu sind und jede Woche rund 100 Mark am Weserufer lassen:„Flohmarkt ist wie Urlaub.“

gb