: Prima leben unterm Stiefel
Montagsexperten kommen zu Wort: Jochen Rindt ■ Ü B E R L E B E N S B Ö R S E ‘ 8 9
Wer hätte das dem Senat zugetraut: das Prinzip der sozialistischen Gleichschaltung; durchsetzen sozialistischer Ideologie: zuerst Tempo 100, dann Arbeit und Wohnung für alle, und wer sich dann darüber beschwert, kommt nach Moabit, dem Bautzen der AL. So klarsichtig ist nur der ADAC, ein Zusammenschluß geschwindigkeitsbewußter Autoyens, die das Grundgesetz erst richtig spüren, wenn die Tachonadel zittert. Die größte Freiheit des Menschen ist, mit flotten 100 Kilometern zuviel aus der 90-Grad-Kurve getragen zu werden: lieber rasant sterben, als im Kriechgang leben; die Freiheit des einzelnen ist der Bleifuß der anderen.
Doch damit befand man sich in Berlin schon lange am Rand der Legalität: ein Kavalierstart mit 85 PS in den Spielstraßen war zwar immer ein Fanal der Freiheit, doch leider verboten. Verboten ist nun aber auch, mit über 100km/h auf dem letzten Raservoir zwischen Funkturm und Dreilinden entgegenzubratzen. Doch erst ab dieser Geschwindigkeit stellt sich die Opel-Manta-Freiheit ein, die den ganzen Fuß gebraucht und jetzt nicht mehr erlaubt ist. Dagegen hilft nur entschlossener Widerstand. Nach TuNix und TuWas nun GibGas: Wir schulden unseren Motoren noch eine ganze Menge Benzin.
Was mit der Demonstration letzte Woche so hoffnungsvoll anfing, kann ausgebaut werden. Nächtliche, illegale Aktionen auf der Avus sind ein weiterer Schritt, Bekennerschreiben empfehlen sich: Wir haben in der Nacht vom 16. auf den 17. Juni mit 200km/h einen Angriff gegen den Schweinesenat gefahren. Landstraße und Stadtautobahn - ein Kampf. Unterschrieben : Kommando Niki Lauda. Emblem: doppelläufiger Auspuff vor rotem Gürtelreifen, wahlweise mit Spikes besetzt. Und : den Kampf international führen - selbst in den USA gibt es Geschwindigkeitsbegrenzung, und da kann sich sonst jeder Hans und Franz uneingechränkt Waffen kaufen (irgendein Mordinstrument scheint der Mensch zu brauchen: die Knarre des Amis ist der Spoiler des Deutschen).
Noch ein Tip: die Propaganda der Tat nicht unterschätzen. Die Öffentlichkeit ist auf der richtigen Seite. Wenn der SFB -Reporter fragt, ob die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht eine einschneidende Einschränkung der Freiheit ist, weiß man nicht nur, wieviel PS er in der Garage stehen hat, sondern auch, daß er sich nicht scheut, Suggestivfragen zu stellen. Aber beim SFB ist in letzter Zeit alles erlaubt - selbst Günther von Lojewski, dem bayerisch geläuterten Journalisten mit dem Grinsen eines zufällig erwachsen gewordenen HJlers. Außerdem steht man dort auch in harter Konkurrenz zu Schamoni - und der will sein Radio jetzt in 200,6 umtaufen.
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