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„Survival of the Fettest“

■ Ein Besuch im hochmodernen Fitness-Studio des SC Siemensstadt / Sprechende Computer begrüßten unseren schlappen Reporter / Gier nach Gesundheit und Stärke / Eine Spiegelwand geriet zur Psycho-Probe: Erschrecken vor der eigenen Wampe

„Könne Sie es sich leisten, nicht fit zu sein? Wir meinen: NEIN!“ Mit dieser klaren Feststellung eröffnete der SC Siemensstadt als erster Sportverein in Berlin ein Fitness -Studio. Damit trägt auch der als Modellverein für eine andere Art von Freizeit- und Breitensport ins Leben gerufene SCS dem weiteren Anwachsen der Fitness-Welle Rechnung.

Der erste Blick in den Geräteraum bietet einen gewohnten Anblick. Helle, tapezierte Räume, mit Teppichboden ausgelegt, Bilder an den Wänden und leiser Musik sollen für heimelige Atmosphäre sorgen. Neben den üblichen Fahrradergometern, chromglänzenden Hanteln und Turngeräten sind auch sechs Computerübungsgeräte angeschafft worden, die nicht nur die Übungsleistungen speichern sollen, sondern auch noch mit persönlichen Daten der Trainierenden gefüttert werden, ein individuelles Programm ausarbeiten und über eine scheppernde Stimme Anweisungen geben. „Die Cumputer können das Training besser überwachen als jeder menschliche Trainer“, bemerkt Hartmut Neumann dazu. Trotzdem sind auch SportlehrerInnen angestellt, die zusätzlich noch Gymnastik -Programme abhalten und Übende an den herkömmlichen Geräten betreuen.

Mein erster Test verläuft niederschmetternd! „Derzeitiger Köperfettanteil 22,1 Prozent“, der Computer kennt kein Erbarmen und entlarvt schonungslos den desolaten Zustand meines Körpers. Mit schon gebremstem Tatendrang steige ich aufs Fahrradergometer, um mich für eine Testrunde im Fitness -Studio des SC Siemensstadt warmzumachen. Schon beim Strampeln schwant mir Böses für die Zukunft. „Wie soll ich ohne leistungsfähigen, gesunden Körper bestehen?“, schießt es mir durch den Kopf, „dem Alltagsstreß und den beruflichen Anforderungen gewachsen sein, gar nicht zu denken an die hämischen und mitleidigen Blicke in Schwimmbad und Disco“. Plötzlich fange ich zu schwitzen an.

Also frisch gewagt, als nächstes steht Rudern auf dem Programm. Zum Ansporn und gegen Langeweile haben die Erfinder der Rudermaschine am Ende derselben einen Bildschirm angebracht, auf dem wie beim Computerspiel ein Gegner erscheint. Strotzend vor Selbstbewußtsein und völlig aus der Puste lasse ich nach fünf Minuten die Ruder fallen; ich habe meinen Spielothek-Kontrahenten um zwölf Längen abgelascht, na also.

Auf dem Weg zu „Harry“, einer weiteren Computer-Maschine, in die ein „sprechender“ Trainer integriert ist, kommen sie wieder, diese schrecklichen Gedanken über den Unsinn von Training mit Hanteln und Maschinen.

Obwohl der Fragebogen für das persönliche Trainingsprogramm genügend Antworten zum Ankreuzen bereithält. Natürlich will ich mich „rundum“ wohl fühlen, sonst wäre ich nicht so beleibt, die Frage nach gezieltem Trainung ist schon schwerer zu beantworten, Hintern und Oberarm kann man ankreuzen, Kopf suche ich vergeblich. Bei der dritten Frage „Was wollen sie erreichen?“ gebe ich überfordert auf und mich den schepppernden Ratschlägen und Anfeuerungen „Harrys“ hin. Nachdem ich seine Ratschläge permanent mißachtet habe, ist er beleidigt und hält endlich die Klappe. Wie soll man bei dem Gequake auch den Ansprüchen von Kommunikation und Geselligkeit gerecht werden, für die das Studio auch verantwortlich sein will?

Völlig geschafft, mit schmerzenden Knochen und psychisch zerstört beende ich nach zwei Stunden die Tortur und werde mit einem ellenlangen Computerausdruck in die gefährliche Welt entlassen, um dort gestärkt allem Unbill entgegenzutreten. Denn so schlimm ist es ja nicht. Meine Lebenserwartung ist immerhin mittelmäßig, damit läßt sich leben, und wenn ich die Ratschläge des Computers befolge, jeden Tag zwei Stunden Rasen mähe oder Vibrosauning mache, bin ich in spätestens 32 Wochen bestens gerüstet für eine Karriere in Beruf- und Privatleben.

Schmiernik

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