: Bigger than Life
■ Tiger-Talk: Ein Gespräch mit Tom Jones über „The Kiss“, den Erfolg, den Look und seine erste Liebe
Gunter Göckenjan
Was wir über Tom Jones wissen. Geboren 1940 in Wales, Arbeiter, Heirat mit 16. In den 60er Jahren Megastar mit Superschnulzen wie Delila oder Green Green Gras of Home. Wird „the tiger“ genannt, warum, wissen wir nicht. Galt und gilt als Sexideal für mittelalte Damen (warum, wissen wir auch nicht! d. Äzzerin), schwingt auf der Bühne die Hüfte und kann singen. Bei seinen Auftritten in Las Vegas werfen seine weiblichen Fans angeblich ihre Hotelzimmerschlüssel auf die Bühne. Tom Jones ist so reich, daß er deshalb umziehen mußte. Die Briten wollten die Hälfte seines Einkommens, seitdem wohnt er in Kalifornien (Aha! Ein typischer Wirtschaftsasylant! d. Äzzerin). Er besitzt ein Rennpferd, einen Rolls Royce, einen Mercedes, aber kein Privatflugzeug.
Vor über 20 Jahren, als ich noch klein war, habe ich seine Hits gehaßt; er war das Gegengift gegen die Rolling Stones. Ich wollte das Gift. Der Retro-Welle zwischen Chubby Checker und Clive Richards hat er die Krone aufgesetzt. Mit The Kiss. Find‘ ich gut.
Beim Interview trug Tom Jones ein dunkelrotes Seidenhemd von Cerutti (das stand drauf). Der Sohn, gleichzeitig Manager, nur ein Jeanshemd vom gleichen Designer. Vater Jones hatte noch zwei große Brilliantringe an den Händen, darauf beschränkte sich aber auch schon das erwartete Unterhaltungsstar-Getue. Tom Jones ist nett und umgänglich. Prince Charming jedoch war Cliff Montgomery, der Bodyguard des Stars. Nächstesmal interviewe ich ihn. (Wir warten gespannt! d. Äzzerin)
Gunter Göckerjan: Wie kam es zu Kiss? So etwas habe ich von Ihnen noch nicht gehört.
Tom Jones: Als ich Ende '86 Kiss von Prince hörte, fand ich, daß es eine gute Nummer für meine Bühnenshow sei. Ich stelle jedes Jahr im Januar ein neues Programm zusammen. Im Februar beginne ich dann meine Tour durch Amerika und Kanada. Ende '87 war ich in England, um meine neue Platte vorzustellen, und ich wurde gefragt, ob ich einen modernen Song für das TV aufnehmen wolle. Ich haben dann Kiss und Great Balls of Fire gemacht. The Art of Noise haben die Show gesehen und wollten sie dann rausbringen. Das gab mir Rückendeckung gegenüber der Plattenfirma. Das Ergebnis hat mich sehr beeindruckt, es wurde viel moderner, als ich es gemacht hätte.
Sie haben damit ein jüngeres Publikum gefunden?
Ja, bisher war es so, daß die Mädchen mit ihren Eltern zu meinen Konzerten kamen. Die waren dann erstaunt, daß ich solche Songs sang. Das hat mich komisch berührt. Du machst jedes Jahr etwas Neues, und du denkst, die Leute wissen das. Aber nur die, die kommen, wissen es, die Öffentlichkeit bekommt davon nichts mit. Da hoffte ich immer auf die Gelegenheit, wieder Popsongs auf Platte aufnehmen zu können. Weil es schließlich gelang, kommen jetzt auch die Jungen, die mich vorher nicht kannten, in meine Konzerte.
Man hat ihre Musik auch als weiße Soulmusik bezeichnet.
Ich war immer von Rhythm & Blues und von Gospel-Musik beeinflußt. Die amerikanischen Schwarzen haben eine Art zu singen, die voller Kraft und Seele ist. Das kommt von innen. Die machen sich keine Sorgen darüber, wie man etwas richtig oder falsch macht. Die tun es - bumm, was innen ist kommt heraus. Genau so fühle ich.
Ihr Sound ist jetzt ganz neu und anders.
Für mich ist auch das nur ein Rhythm & Blues-Song. Ich nehme das Mikrophon und singe. Neu daran ist nur der Teil von Art of Noise.
Haben sie Prince getroffen? Was sagt er?
Leider nicht, das ist auch gar nicht so einfach - er ist ein Einsiedler. Sein Manager hat aber mein Büro angerufen und uns gesagt, daß sie die Platte sehr mögen. Sie wollen eine Dokumentation über sein Leben machen, an der ich mich beteiligen soll. Purple Rain habe ich übrigens auch mal in einer Bühnenshow gehabt.
Treten Sie gerne auf?
Klar, deshalb mache ich es. Wenn ich es eine zeitlang nicht tue, um meiner Stimme eine Erholung zu gönnen, warte ich nur darauf, endlich wieder auf der Bühne stehen zu können. Es ist ein prima Gefühl. Was ich brauche ist, daß die Leute mich kennen, daß sie wissen, was ich tue. Niemand soll Zweifel haben können, wer ich bin. In den Siebzigern hatte ich nicht mal die Möglichkeit, Platten rauszubringen. Die Leute fragten mich, was machst du? Das kann ich nicht ausstehen.
Wir kam es zu diesem Mißerfolg?
Ich habe verschiedene Sachen ausprobiert, aber ich konnte meinen Platz nicht finden. Ich mache gerne alle möglichen Sachen. Wenn du aber ins Studio gehst, mußt du eine Richtung haben. Man kann keinen Mischmasch machen, weil sie dann nicht wissen, wie sie es vermarkten sollen. In Amerika drücken sie allem diesen verfluchten Stempel auf. Du mußt deine Sachen also so machen, daß sie sagen können, dies ist eine Popplatte, und sie muß von einem Popsender gespielt werden.
1980 haben Sie dann einen Vertrag mit Polygram unterschrieben?
Die haben mir vorgeschlagen, ein Country und Western-Album zu machen. Okay, habe ich gesagt, ich mag auch Country und Western. Diese Platte wurde dann aber ein Erfolg, und damit begann ein neues Problem. Der Vertrag garantierte fünf Platten, eine pro Jahr. Über den Stil stand darin nichts. Weil aber das erste Album ein Erfolg wurde, wollten sie immer wieder nur Country. Diese Musik ist aber nur gut für Amerika. Ich hatte jetzt zwar einen Plattenvertrag, aber im Rest der Welt konnte von mir nichts erscheinen. Ich kam da nicht raus, ich hatte einen Vertrag. Die Western-Stationen begannen mich zu akzeptieren, eine komische Sache. Dadurch wurde der Druck noch größer. Die sagten, okay, Tom Jones hat ein Country-Album gemacht, aber wird er bei uns bleiben? Ich war dabei, mein eigenes Grab zu schaufeln. Je mehr Erfolg ich hatte, desto geringer wurde meine Chance, wieder als Popsänger zu arbeiten.
Wie kamen Sie da raus?
Der Vertrag lief Gottseidank aus. Zurück in England, war ich plötzlich wieder in den Popcharts. Ich hoffe, daß ich nie wieder in eine Ecke, egal welche, eingeklemmt werde.
Was passiert auf der Bühne?
Wir versuchen, der Show einen modernen Look zu geben. Die Dinge haben sich sehr weiterbewegt, und ich möchte mich mit ihnen bewegen. Wir haben Licht wie die Rockbands, und meine Musiker tragen, was ihnen gefällt. Dadurch wird es frischer.
Sie treten oft in Las Vegas auf, verändern Sie für diese Art Umgebung und Publikum Show und Programm?
Nein, das bleibt überall gleich. Die Show ist eine Mischung, in der für jeden etwas enthalten ist. Vielleicht würden die Jungen gerne mehr moderne Songs haben, die Älteren mehr Balladen. Aber die Show ist so, daß ich Lust hätte, sie mir anzusehen, denn wenn ich mir ein Programm von jemandem ansehe, will ich wissen: was kann der alles? Okay, er ist ein guter Rocksänger, aber kann er auch Balladen singen?
An einem Punkt scheinen Sie allerdings ziemlich festgelegt zu sein. Sie sind eine Art Sexsymbol.
Die Leute denken, ich singe nur für Frauen. Das ist nicht wahr. Es sind auch viele Männer im Publikum. Man sagt, er ist ein Sexsymbol, der steigt da hoch, trägt enge Hosen, ein offenes Hemd... Es ist ein Mittel, die Songs rüberzubringen. Das ist nur ein Teil von mir, Showmanship, aber das verdunkelt oft die Tatsache meiner Stimme. Ich möchte, daß die Männer im Publikum mein Talent würdigen. (Die Frauen nicht? d. Äzzerin) Sie sollen nicht nur da sein, weil sie ihre Freundin begleiten, sie sollen es auch genießen. Und das tun sie auch.
Was macht eigentlich erfolgreiche Popmusiker zum Sexsymbol?
Du stehst immer vorne, in der Öffentlichkeit. Jeder sieht dich und du gibst etwas von dir selbst. „Bigger than life“, trotzdem denken die Leute, sie kennen dich. Da kommt der Sex -Appeal her. Entscheidend ist da nicht das Aussehen. (In seinem Fall sicher nicht! d. Ä.)
Mich würde das verrückt machen. Wird Ihnen das manchmal zum Problem?
Nein, mir macht das Spaß. Der Wunsch, vor die Leute zu treten, muß da sein, man muß das in sich haben wie das Talent. Bei vielen Entertainern ist es allerdings mehr Bedürfnis als Talent.
Und nach der Show: begeisterte Fans und aufgeputschtes Publikum?
Du mußt sehen, daß du irgendwo hinkommst, wo sie nicht sind, sonst hast du keine Ruhe. Wir reisen zum Beispiel immer nachts. Wir verschwinden nach dem Auftritt, wenn die Leute noch von dem Auftritt erregt sind. In der anderen Stadt kann man sich dann entspannen, vor dem Auftritt ist es immer ruhiger. Man muß eben das Leben ein bißchen danach einrichten. - Manche Entertainer beschweren sich, daß sie nicht immer und überall hingehen können. Natürlich können sie das nicht, aber das ist nun mal Teil des Jobs. Du kannst einkaufen gehen, nicht gerade mittags, im Kaufhaus, mußt dann aber schnell verschwinden. Bevor sie dich erkennen bist du im Auto und weg. Elvis Presley kam immer mit sechs Bodyguards, die schrien: „Aus dem Weg, Elvis kommt!“ Er trug weiße Anzüge und große Sonnenbrillen. Er wollte sich nicht irgendwo heimlich hineinschleichen, aber er hätte es gekonnt.
Kann es auch gefährlich werden?
Nur bei der Arbeit. Die Show ist schließlich der Höhepunkt. Hier ist wirklich ein starkes Sicherheitssystem nötig. Du kannst schließlich nicht erwarten, daß die Leute dich in Ruhe lassen, nachdem du sie aufgepeitscht hast, nachdem du ihre tiefsten Emotionen erreicht hast. Das schwappt natürlich über - es funktioniert nicht wie mit einem Lichtschalter. Man muß danach einfach von der Bildfläche verschwinden.
Sie stammen aus der Arbeiterklasse, jetzt sind Sie reich und berühmt. Vermissen Sie etwas?
Nein, eigentlich nicht. Meine Freunde sind noch da, sie beschützen mich. Meine erste Liebe war das Singen, und nichts könnte diesen Platz einnehmen.
LP: At the moment, Teldec
22.5.: Mannheim
23.5.: Köln
25.5.: Hamburg
6.6.: Wien
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