: Schwierige Wesen
■ Katja Lange-Müller, die lange in der Mongolei lebte, sah sich im Münchner Haus der Kunst die Ausstellung „Die Mongolen“ an
Katja Lange-Müller
Angekommen am Haus der Kunst, München, bin ich gleich bedient. Im Cafe „Zur schönen Münchnerin“, mit zwei sonderangebotenen, angeblich original mongolischen Gerichten - oder sollte ich schreiben Gerüchten?: Khor Scholl (klare Fleischbrühe mit Einlage und Fladen) und als Hauptgang Bansch a la Bat (mongolischer Salat, Hackfleisch, gefüllte Teigtaschen, Sojasauce und flüssige Sahne). Mongolische Leckereien, in München ausgerechnet, gleich gegenüber der Ausstellung und bei der Gelegenheit, eine dynamische Initiative, das muß ich zugeben. Auch hatte ich mir diesen, meinen zweiten und wesentlich kürzeren Ausflug in die vom bundesrepublikanischen Touristenturnschuh noch nicht ganz so breitgelatschten mongolischen Steppen schon komisch vorgestellt. Aber Salat - bei einer Vegetationsperiode von knapp drei Monaten! - Sojasauce, Flädle? Alles, was ich weiland zwischen 1982 und 1983 in der Mongolischen Volksrepublik zwischen die Zähne bekommen hatte, war Connimac, Hammelfleisch, ungesalzen, nur kurz aufgekocht, also halbgar, und kleine Teigtaschen mit zerpitzeltem Connimac, das gab's manchmal auch. Dieses Hammelhack, in dünnem Mehlteig gedämpft heißt es Buuz, ist eigentlich chinesischen Ursprungs und hat nichts zu tun mit Beefsteak Tatar, dem angeblich unter Tatarensätteln weichgerittenen Rindfleisch.
Auch das ist gastronomische Legende a la „Zur schönen Münchnerin“. Niemals nehmen die Mongolen, ob sie nun dem Tatarenstamm angehören, den Chalcha oder den Dariganga, um nur drei der auf dem Territorium der inneren und äußeren Mongolei lebenden etwa 25 Steppen- und Mongolenvölker zu nennen, etwas roh oder frisch zu sich, weder Fleisch noch Milch noch Wasser.
Doch nun zur Ausstellung. Sie heißt Die Mongolen, und dieser Sammelbegriff ist schon mal mehr als ungenau, denn die Mongolen, ebenso wie die Indianer, gibt es nur nach unserem groben Verständnis, das müßten die Bayern eigentlich wissen. Die mongolischen Nationalitäten - die wichtigsten in der Mongolischen Volksrepublik sind heute die Chalcha, Kasachen, Durbeten, Burjaten, Bajaten, Dariganga, Tuwiner, Dsachatschinen, Torguten und Oleten (dazu kommen noch etliche nationale Minderheiten nichtmongolischer Steppenvölker) - haben bei einigen Gemeinsamkeiten sehr unterschiedliche Kulturen und sprechen verschiedene Sprachen. Innerhalb der Ausstellung wird das auch deutlicher. Die Ausstellung ist nicht sehr umfangreich, doch dafür, daß sie in der BRD die erste ist über diese Menschen „am Ende der Welt“, ist sie gut sortiert und bestückt, was kunsthandwerkliche, zeremonielle und Kultgegenstände anbelangt. Es gibt Geduldsspiele zu sehen, Knochenspiele, Kartenspiele, Musikinstrumente, applizierte und bestickte Wandteppiche mit Darstellungen der vielen buddhistischen Gottheiten, die aus dem indo-tibetischen Lamaismus rübergekommen waren, Kleidungs- und Schmuckstücke, Tanz- und Schamanenmasken und zwei komplett eingerichtete Jurten, die Rundzelte der nomadisierenden Araten. Die Leute sind beeindruckt von soviel Fremdartigkeit, Pracht und Aufwand, sie staunen. So zwei ältere Münchnerinnen mit dicken Dutts darüber, daß die Chalchamongolinnen ihr langes, widderhörnerartig frisiertes Haar in monströsen, aus Silber gehämmerten Etuis trugen. Sie beäugten auch genau die reichlich mit silbergefaßten Halbedelsteinen, Türkisen, Korallen und Perlen bestickten Festkleider, die Deels; ob die nun wirklich von Hand genäht seien oder eben doch bloß auf einer „Singer“ und damit nachgemacht.
Vom auch heute noch knochenharten Leben dieser Menschen bei minus 40 Grad in der Steinsteppe, mit traditionellen Krankheiten wie der Syphilis und „moderneren“, infolge kolonialismusbedingter Mangel- und Fehlernährung entstandenen wie Magenkrebs und Angina pectoris, erfahren die Besucherinnen und Besucher wenig; und das wenige auch nur aus einem allerdings recht gut und genau informierenden Videofilm.
Alles in allem geben der Film und die ausgestellten schönen Gebrauchsdinge sowie die mit Beschreibungen, Volksweisheiten, Teilen aus mongolischen Heldenepen, Gedichten und erläuternden Anekdoten versehenen Schrifttafeln einen wohl irgendwie poetisch geschönten, nachsichtig bewundernden, aber doch auch gründlichen Einblick in Geschichte, Kultur und Lebensweise der mongolischen Völker. Der deutsche beginnt zu spekulieren, ob der mongolische Mensch Ähnlichkeit mit dem Kentaur der griechischen Mythologie habe, da er doch mit dem Pferd in einer Art organogener Symbiose zu leben scheint. Von seinen „fünf Schnauzen“ - Pferd, Kamel, Rind, Schaf, Ziege; die Herdentiere des mongolischen Nomaden - ist ihm das Pferd mit Abstand die wichtigste. Es bedeutet ihm viel, ist seine Bewegungsfreiheit, sein Freund, sein Ratgeber sogar. So sprach beispielsweise in einem berühmten mongolischen Epos „das graue Pferd zum Khan: Wie bist du doch gedankenlos, wenn du auch ein tapferer Mann bist! Wie bist du doch unbesonnen, wenn du auch ein schöner Mann bist!“ Ohne sein Pferd ist der mongolische Held einfach nicht denkbar - aber nicht im Sinne der ethnologisch definierten Schicksalsgemeinschaft eines numinosen Doppelgängers, sondern im Sinne eines „besseren Ichs“.
Die mongolischen Kinder, Mädchen wie Jungen, lernen das Reiten, ehe sie richtig laufen können, weiß die Ausstellung in München. Doch daß inzwischen fast 60 Prozent aller Einwohner der Mongolischen Volksrepublik in Ulan-Bator, der Hauptstadt der MVR, leben, in Jurtenslums, teilweise ohne Elektrizität, ohne Wasser, ohne Haus- oder Herdentiere, viele auch ohne richtige Arbeit und vor allem ohne Pferde, und wie es ihnen dabei geht, dazu sagt die Ausstellung nichts.
Aber da sind all die kunstvoll gefertigten pferdeköpfigen Geigen, von denen es auf einer Tafel heißt, sie seien 1206 entstanden, in einem Tigerjahr. Einem jungen Hirten war sein liebstes Pferd gestorben, und er war darüber untröstlich. Und als er nachts weinend in der Steppe saß, riet ihm die Stimme des toten Pferdes, er möge doch die von ihm, dem Pferd, übriggebliebenen Knochen, Sehnen und die Haare seines Schweifes nehmen und sich daraus eine Geige bauen. Die Musik, die das Instrument hervorbrächte, würde ihn sicher über den Verlust hinwegtrösten, außerdem könne er sein totes Lieblingspferd auf diese Weise bei sich behalten und es weiterhin hören. Eine schöne Geschichte, und als Parabel stimmt sie wohl auch.
Sogar die Kamele, sehr seltsame Tiere von schwierigem Wesen, weinen vor den Jurten richtige Tränen, wenn die Araten die Pferdegeige, die Hur, spielen, das habe ich selbst gesehen. Dazu singen die Frauen und Männer, jede und jeder in einer anderen Stimme, meistens über Helden und Pferde, seltener über die Steppe und die Liebe. Hohe und tiefe Töne wechseln abrupt, zwei Oktaven werden mühelos übersprungen, einige der Frauen können mit zwei Stimmen singen. Es ist eine weittragende, langvokalige Zwölftonmusik, keiner anderen vergleichbar. Leider ist in der Ausstellung lediglich am Ende des Videofilms etwas davon zu hören.
Es wäre noch eine Menge zu sagen oder zu schreiben von den Mongolenvölkern, ihrer Kultur und Lebensweise, über die Ausstellung, den Schamanismus und die kriegerische Geschichte dieser Nomaden, von den Stammesfehden über Dschingis-Kahn, der mit seinem Heer der geeinten Mongolenvölker vor 800 Jahren bis nach Schlesien kam, bis hin zur vom Volkshelden Suche Batr geführten Revolution von 1921. Doch ich will niemandem diese Ausstellung, sie geht noch bis zum 28.Mai, ersparen, und so beschränke ich mich abschließend auf eine Geschichte, die mir ein Chalchamongole eines frühen Morgens nach vier Flaschen Achi erzählte und die ich mir wegen der traurigen und selbstironischen Distanz der Chalcha (sie sind die größte der mongolischen Nationalitäten) zu ihrer Herkunft, ihrer Vergangenheit, gemerkt habe:
„Ecrge tngri, unser oberster Gott, der Himmel, hat alle Völker geschaffen, Menschen von unterschiedlichster Hautfarbe und Physiognomie, auch sein ureigenstes Volk, die Chalcha, die seinem Herzen am nächsten stehen, und er hat sie aus seiner riesigen Hand auf die Erde regnen lassen. Bald sah er, was geschah, viele vertrugen sich nicht miteinander und führten sich schlecht auf. Also sammelte Ecrge tngri die Völker alle wieder ein, um sie erneut auf der Erde auszusetzen. Aber diesmal nicht willkürlich, sondern entsprechend ihrem Verhalten und Wesen. So kamen die braven und guten Völker in schöne Gegenden, an den Amazonas, ins Zweistromtal zwischen Euphrat und Tigris, in die Wälder Australiens... Zum Schluß hatte er uns, seine Chalchamongolen, als einzige noch übrig. Wir mußten uns wirklich schlimm benommen haben, so daß er uns schweren, aber gerechten Herzens mit dem nackten Arsch in die kalte, baumlose Steinsteppe setzte. Doch nicht diese Strafe war die eigentliche Strafe. Er stülpte uns Streifen vom Kehlsack des Kamels über die Köpfe. Die Streifen trockneten und drückten dabei dermaßen auf die Zentren der Erinnerung, des Gedächtnisses in unseren Gehirnen, daß der Schmerz Erinnerung und Gedächtnis auslöschte. Daher wissen die Chalcha heute nur noch, daß sie bestraft worden sind, aber wofür eigentlich, das mußten sie vergessen.“
Die Mongolen. Noch bis zum 28.Mai; der Katalog kostet 49 DM, im Buchhandel 78 DM.
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