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Die Sowjetunion eilt allen davon

Turn-Europameisterschaften der Frauen / „Gefangene“ Rumäninnen die großen Verliererinnen  ■  Aus Brüssel Thomas Schreyer

Die große Verliererin war zweifelsohne Daniela Silivas aus Rumänien. Die fünffache Europameisterin von Moskau 1987 konnte nur noch eine „halbe“ Goldmedaille am Boden zusammen mit der Mehrkampfmeisterin Boginskaya erkämpfen. Gerade 18 Jahre alt geworden - in ihrem Reisepaß ist Dana Silivas allerdings schon 19 - wirkt die Rumänin wie keine andere ausgelaugt und verbraucht.

Dabei täuscht das offizielle Ergebnis noch über den Abstand zu den Sowjets. 0,013 Punkte nur fehlten im Vierkampf zur Siegerin Svetlana Boginskaya, einem großgewachsenen Mädchen, das mit schier unbeschreiblicher Eleganz über die Fläche schreitet. Aber Silivas wurde -zumindest am Balken- deutlich überbewertet.

Die „Neuentdeckung“ Olessia Dudnik aus Zaporojic, bei deren Namen schon Juri Titow, der Verbandsoberste aus der UdSSR, ins Träumen gerät, seine Augen verschließt und die Mundwinkel vor Freude bis zu den Ohren zieht („Die wird mal Weltmeisterin“), hatte nur Pech, in der falschen Gruppe gestartet zu sein, die durch zu niedrige Noten den totalen sowjetischen Triumph - Boginskaya, Dudnik, Strazheva verhindert hatte.

Sie eilen davon, die Sowjet-Turnerinnen, und bringen gleichzeitig frischen Wind mit: schwierige Zusammensetzung der Einzelteile an den Geräten und einen überraschenden Elemente-Rhythmus. Das Publikum honorierte dies mit Beifallsstürmen, obwohl alle drei das Lächeln erst noch lernen müssen. Ihr todernstes Auftreten hinterließ die einzigen Zweifel an ihren perfekten Darbietungen.

Daniela Silivas, einst auch die „Immererste“ genannt, will ihre Flaute freilich nicht eingestehen. Sie könnte auch gar nicht, so lange die strengen Augen der Delegationschefin Maria Login, die „ihre“ Turnerinnen wie Gefangene hält, bei jeder Pressekonferenz über sie wachen. Auf die Frage, ob Dana Silivas ihre ehemalige Trainerin Cosma vermisse (Maria Cosma hat sich Ende letzten Jahres in die Bundesrepublik abgesetzt), durfte sie selbst gar nichts sagen. „Ich war auch schon in Moskau 1987 ihr Betreuer“, warf Trainer Goreac schnell ein. Maria Login schien der Atem zu stocken.

Um so „bedrohlicher“ für sie, die den Sport nicht von der Politik lösen kann (je repressiver der Staat gegen das Volk, desto repressiver der Verband gegen die Turnerinnen), muß die Tatsache sein, daß Rumänien nicht mehr nur die UdSSR als Gegner hat - mag das noch so mehrdeutig interpretiert werden können.

„Ich habe noch nie ein so qualitativ besetztes Gerätefinale gesehen, wo alle Teilnehmerinnen gut sind und ausgeglichene Leistungen zeigen“, sagte Ex-Turnerin Nelli Kim aus der UdSSR, die als 32jährige den Wettkampf beobachtete. Nicht nur den bulgarischen Turnerinnnen gelang es, wieder Anschluß an „die da oben“ zu finden. Erstmals war auch eine Ungarin, Henrietta Onodi, in einem EM-Finale dabei. Die kleine (seit gestern) Fünfzehnjährige siegte am Stufenbarren.

Vierkampf: 1. Boginskaya, 2. Silivas, 3. Strazheva.

Pferdsprung: 1. Boginskaya, 2. Mavrodieva (BUL), 3. Bontas (RUM).

Stufenbarren: 1. Onodi, 2. Silivas und Strazheva.

Balken: 1. Potorac (RUM) und Dudnik, 3. Silivas.

Boden: 1. Boginskaya und Silivas, 3. Bontas und Onodi.

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