: Der Magier und der Kommissar
■ Heute wird George Tabori 75 Jahre alt. Wir gratulieren mit einer Reminiszenz zu einem seiner Zusammentreffen mit der Staatsgewalt / Interview mit H.-W. Franke
Sicher, wir stellten die konventionelle Theater-Arbeit und Arbeitsweise in Frage, denn wir haben versucht, die traditionelle Trennung von Schauspieler und Rolle aufzuheben. Das ist uns offensichtlich gelungen, weil sehr viele aufgrund von 'Sigmunds Freude‘ gesagt haben: 'Die sind ja alle verrückt, krank. Das sind keine Schauspieler. Der Tabori macht mit denen, was er will‘. (Günther Einbrodt, Tabori-Schauspieler)
taz: Was fällt Ihnen als erstes ein, wenn Sie an Tabori denken?
Horst-Werner Franke: Ich fand ihn immer einen äußerst angenehmen, äußerst interessanten, wie soll ich sagen, hintergründigen und weisen Gesprächspartner.
Aber so einige besondere Erlebnisse fallen mir ein. Z.B. als er den Hungerkünstler im Concordia inszenieren wollte, nach Kafka, da wollte die Mannschaft vorher hungern drei Wochen, ganz echt. Und da bin ich damals von den Theaterleuten aufgefordert worden, als Aufsichtsratsvorsitzender (Theater der Freien Hansestadt Bremen GmbH., d.Red.), doch ihm zu sagen: Junge, das geht nicht.
Hat Stolzenberg Sie dazu aufgefordert?
Nein, das waren Arbeitnehmervertreter des Theaters im Aufsichtsrat. - Tabori hat mich dann eingeladen zum Ensemble und da war ein ganz merkwürdiges Ritual. Man saß in der Runde, und es
war nicht so, daß man sich, wenn man glaubte, was sagen zu können, meldete, sondern das Ritual ging so, daß in dieser Runde, ausgehend von Tabori, immer reih um jeder drankam und reden mußte.Ich war da etwas irritiert, weil ich gern auch mal, wenn etwas ist, zack!, schnell dazu reden will. Aber ich mußte dann immer warten, bis die Runde bei mir war. Es war am Ende, begriff ich, eine gar nicht unangenehme Gesprächssituation. Er war manchmal so ein alter Fuchs, das Ritual setzte er ganz bewußt ein, um seine Mannschaft ... Er war ja wie ein Magier, wie ein Guru saß er da, und das war ja ganz typisch, daß das so um ihn kreiste.
Und Sie haben verkündet: Es verstößt gegen die Dienstpflicht, wenn ihr eure Gesundheit im Dienste gefährdet. Es war ja das Jahr 1977, die RAF, völlig unabhängig von Taboris Projekt , machte Hungerstreik. Der Schauspieler Klaus Fischer hat das als einen politischen Eingriff empfunden in einer Situation, wo es einfach zu heiß gewesen sei, daß sie dagesessen hätten und gehungert.
Nein, es gab nicht eine politische Solidarität mit irgendjemand. Aber ich habe gesagt, daß ist ja wahnsinnig, diese These: Wir brauchen das, um in das Stück hineinzukommen, daß wir selber Hungerkünstler werden. Aber, das ist richtig, sie haben dieses als ein unerhörtes Ereignis angesehen, daß der Staat ihnen eine verabredete Annäherung an das Stück nicht erlauben will.
Kein Eingriff in die künstlerische Freiheit?
Na, es gibt Dinge, die bei Schauspielern geregelt sind. Sie dürfen z.B. nicht Skifahren, nicht Reiten, weil sie u.U. ihre Gesundheit für die Belastungen des Berufes gefährden.
Das kontrollieren Sie nicht.
Die waren nicht nur bei Tabori im Hungerkünstler, sondern gleichzeitig auch noch in normalen Produktionen tätig. Und wir haben gesagt: das ist wahnsinnig, die kippen um, wenn die drei Wochen hungern und immer abends auf
der Bühne stehen müssen. Wir haben das dann so gelöst: Ich habe gesagt, wenn der Siegfried von Schwanenflügel als Vertrauensarzt zu Protokoll gibt, daß er die volle Verantwortung dafür übernimmt, daß Ihr drei Wochen hungern könnt und voll in den Produktionen des Theaters arbeitet und kein Kollaps und dergleichen passieren wird, dann ist die Kiste gelaufen. Er hat gesagt, das kann er nicht. Und da war's zuende.
Weitergehungert haben die aber trotzdem.
Das war ja immer so bei Tabori, daß man sich schlitzohrig auf eine Position bezog, wo man am Ende sich dann arrangierte.
Das zweite, woran ich mich erinnere - und das war nun das Dollste - als er dann Hamlet brachte: Weil mich der Hamlet selber sehr interessiert, habe ich ihm gesagt: Also Tabori, wissen Sie, sonst geht der Fortinbras meistens unter, aber ich denke, es ist eine wichtige Person, von der man auch eine Inszenierung bestimmen kann. Sozusagen die Neue Ordnung, die dann am Ende kommt. Und wir haben oft über den Fortinbras und die Gesamtinszenierung geredet, und er hat immer gesagt: Da habe ich Dolles vor, und Sie müssen in die Premiere kommen, und Sie werden sehen. Ich bin ungeheuer neugierig in die Premiere gegangen, und was soll ich Ihnen sagen? Er kam gar nicht vor.
Int.: Uta Stolle
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