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Eine Entscheidung auf Leben und Tod

■ Grüne fordern Abschaffung der Umverteilung von Flüchtlingen zwischen den Bundesländern / Bedrohter kurdischer Lehrer soll nach Niedersachsen umverteilt werden / Dort droht ihm Abschiebung in die Türkei / „Sozialhilfemißbrauch von Amts wegen“

„Umverteilung von Flüchtlingen auf die Bundesländer entspricht zwar den Bedürfnissen der Behörden, nicht aber den Bedürfnissen der Asylbewerber.“ Mit einigen Beispielen aus der Praxis unterstützte der Nord-Bremer Rechtsanwalt Horst-Eberhard Schultz gestern die Forderung der Grünen nach Abschaffung dieser Quotenregelung zwischen den Ländern.

„Nicht Menschen, sondern Geld sollte umverteilt werden“, meinte der grüne Abgeordnete Paul Tiefenbach. Mit einem „Lastenausgleich“ für Sozialhilfeausgaben könnte es Flüchtlingen ermöglicht werden, während ihres Asylverfahrens dort zu bleiben, wo sie Verwandte haben oder vor Abschiebung sicherer sind. „Im Fall meines Mandanten Emin Akbas könnte eine Umverteilung sogar über Leben und Tod entscheiden“, ergänzte Rechtsanwalt Schultz.

Der kurdische Lehrer Emin Akbas schilderte gestern selber die Gründe seiner Flucht nach Bremen: Im August vergangenen Jahres war der Onkel seiner Frau in Polizeihaft zu Tode gefoltert worden. In monatelanger Kleinarbeit stellte Akbas Nachforschungen über den Tod seines Verwandten an und gab sie an tür

kische Zeitungen weiter, die daraufhin der politischen Polizei Mord vorwarfen. Akbas selber berichtete vor einer Kamera der BBC von dem Fall und wurde daraufhin mit der Drohung konfrontiert, daß es ihm ähnlich ergehen könne wie dem Onkel seiner Frau. Daraufhin flüchtete er mit

seiner Familie in die Bundesrepublik.

In Bremen stellte Akbas im Februar einen Antrag auf Asyl. Hier hat die Familie nicht nur Verwandte, sondern auch die Sicherheit, selbst bei einer möglichen Ablehnung des Asylantrags nicht in die Türkei abgeschoben zu

werden. Denn Bremen ist das einzige Bundesland, das Kurden grundsätzlich eine „Duldung“ zuerkennt.

Doch diese kleine „Sicherheit“ ist nun in Gefahr. Die Ausländerbehörde will die Familie Akbas nach Braunschweig „umverteilen“. Erste Folge dieses Be

scheids, gegen den kaum ein juristischer Einspruch möglich ist: Das Sozialamt in Bremen-Nord verweigerte der Familie eine beantragte Kleiderhilfe. Dafür sei nun Braunschweig zuständig, hieß es zur Begründung.

Doch Akbas und sein Anwalt wollen das Risiko der Umverteilung nach Niedersachsen nicht hinnehmen und wandten sich deshalb an die Öffentlichkeit. Die Grünen forderten gestern ebenfalls, zumindest in diesem konkreten Fall eine Ausnahme zu machen, um die Gefahr einer Abschiebung in die Türkei zu vermeiden. Neben diesem Appell im Einzelfall, müsse jedoch auch die grundsätzliche Regelung dringend geändert werden, ergänzte Paul Tiefenbach, „ich verstehe auch nicht, warum nicht zumindest alle SPD-regierten Länder nach Bremer Beispiel auf eine Ab

schiebung von Kurden verzichten.“

Mit etwas Geschick könnte Bremen selbst eine Abschaffung der Asyl-Quotenregelung zwischen den Bundesländern ohne Erhöhung der Sozialhilfe-Mittel verkraften. „Sozialhilfemißbrauch von Amts wegen“ nannte gestern ein Mitarbeiter des Flüchtlingsbüros in Bremen-Nord, was bei der Erstunterbringung von Flüchtlingen passiert. Das Ehepaar Akbas muß mit vier Kindern in einem 24 Quadratmeter großen Zimmer leben. Für 30 BewohnerInnen des ehemaligen Schwesternwohnheims in Bremen-Nord gibt es ein einziges WC und eine Dusche. Dennoch zahlt das Sozialamt für das Zimmer der Familie Akbas allein an Miete 1.500 Mark monatlich an den Berliner Hausbesitzer.

Dirk Asendorpf

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