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Birkels Anspruch auf Schadenersatz

Stuttgarter Landgericht stellt Amtspflichtverletzung fest / Land muß zahlen / Schadenshöhe noch nicht geklärt  ■  Aus Stuttgart Hartmut Zeeb

„Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt“, mit diesem Urteilsspruch von Richter Kiesel vor der 17.Zivilkammer des Stuttgarter Landgerichts ist der Nudelprozeß der Firma Birkel gegen das Land Baden-Württemberg freilich noch lange nicht am Ende. Zwar steht nun fest, daß das Regierungspräsidium sich durch einen „enteignungsgleichen Eingriff“ einer rechtswidrigen Amtspflichtverletzung schuldig gemacht hat und dem Teigwarenfabrikanten Klaus Birkel aus Weinstadt-Endersbach bei Stuttgart einen Schadenersatz schuldig ist. Über die Höhe der Ansprüche ist dagegen noch nichts gesagt. So ist - sollte das Land wie erwartet in die Berufungsinstanz gehen - denkbar, daß in parallel laufenden Verfahren am Oberlandesgericht die Revision und am Landgericht die Höhe des Schadenausgleichs verhandelt wird.

Der Streit um die Nudel geht demnächst ins vierte Jahr. Am 15.August 1985 verbreitete das Stuttgarter Regierungspräsidium eine Pressemitteilung, die besagte, in Eiernudeln der Firma Birkel sei verdorbenes Flüssigei festgestellt worden. Vor dem Verzehr wurde nachdrücklich gewarnt, da die Produkte „mikrobiell verdorben“ gewesen seien. Proben der Chemischen Untersuchungsanstalt in Hamm hatten einen vergleichsweise hohen Milchsäuregehalt ergeben. Deshalb wurde auf die Verwendung von Flüssigei geschlossen. Wie sich aber im Verlauf des darauffolgenden Prozesses herausstellte, gab es eine einfache Erklärung: Birkel verwendet Trocken- statt Flüssigei. Das Eigelb wird beim Trocknen fermentativ entzuckert. Um danach den PH-Wert auszugleichen, muß Milchsäure zugeführt werden. Weil bislang kein gesicherter Grenzwert für Milchsäure festgelegt werden kann, gibt es keine Möglichkeit zu beanstanden.

Neben den oben genannten Vorwürfen rügte Richter Kiesel, daß Klaus Birkel über die Vorwürfe nicht informiert worden war, ehe sie an die Öffentlichkeit gelangten. Dies wiege besonders schwer, da zu keine Eile geboten gewesen sei und nie eine Gefährdung der Gesundheit der Verbraucher bestanden habe. Das Gericht bat Birkel indes um Mäßigung, was die Höhe der Schadenersatzansprüche angeht; der Vergleichsvorschlag lautet auf acht anstelle der geforderten 43 Mio. Mark.

Dem Verbraucherschutz hat das Regierungspräsidium mit seinen voreiligen Beschuldigungen gegen die Nudelfirma einen Bärendienst erwiesen: Nach dieser peinlichen Niederlage wird sich die Bulling-Behörde in künftigen Fällen doppelt und dreifach absichern müssen, ehe sie die Öffentlichkeit informiert. Selbst wenn es sich um weitaus ernster zu nehmende Gefährdungen handeln sollte.%%

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