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DIE GEORGISCHE WUTZ IST LOS

■ Georgische Filmreihe, Musik und Kochkunst in der Filmbühne

Langsam soll man sich dem Fremden nähern; wenn man nun die neueste Abkürzung nach Georgien über das Cafe Tblissi (vormals Filmbühne am Steinplatz) nimmt, empfiehlt sich zur Vermeidung des Kulturschocks als Einstieg Jürgen Böttchers Film In Georgien, ein sehr zurückhaltendes und behutsames Reisetagebuch. Böttcher suchte die visuelle Verdichtung des Erlebnisses des Ungewohnten, ohne aufgepfropfte Erklärungen. Er läßt sich treiben in die grünen Meere der Teeplantagen, über Promenaden am Schwarzen Meer, beobachtet wie zufällig kleine virtuose Säbeltänzerinnen. In einem steilen, fast unzugänglichen Bergdorf, dessen urtümliches Leben man fast zu riechen meint, passiert es dann: der Unglauben einer Bäuerin, daß Deutsche mit einer Kamera zu ihnen gekommen sind, ihre Mühe zu beschwören, daß man nicht gegeneinander zu kämpfen braucht, sondern daß doch alle friedlich zusammenleben können, wirft den Filmbetrachter auf sich selbst und seine so komplizierten und manchmal schon absurden Bedürfnisse zurück. Mit Böttchers Film beginnt die georgische Programmreihe, und er selbst wird erster Gast in der Filmbühne sein. Ab Freitag ist auch der georgische Regisseur Reso Esadse höchstpersönlich anwesend, dessen Tannenbaum aus Nylon in einem Bus ein bizarres Porträt georgischer Wirklichkeit entwirft.

Zwei Klassiker, die für viele den Mythos des georgischen Films vor über zehn Jahren initiierten, Der Baum der Wünsche von Tengis Abuladse und der einzige Film mit einer ballverliebten Kamera, Wie der Fußball nach Georgien kam, ein absolutes Muß für alle Dynamo-Tbilissi-Fans, fehlen in dem Programm natürlich nicht.

Die georgischen Filme laufen diesmal aus Anlaß der Tage der UdSSR der Deutsch-Sowjetischen Freundschafts-Gesellschaft. Die Filmbühne, die sich inzwischen auf sowjetische Filme spezialisiert hat, ist für viele Organisationen Ansprechpartner geworden. Jetzt verwandelt sie sich in „Cafe Tbilissi“, ein georgisch-kulinarisches Gesamtkunstwerk. Christoph Fritze von der Filmbühne, seit seinen Reisen nach Georgien erst recht Fan georgischer Filme und georgischen Rotweins, fürchtet bereits jetzt: „Da wird die Wutz los sein. Schon jetzt rufen Leute an, die sich nach den Auftritten des Chors erkundigen. Georgische Köche kommen und bringen Gewürze, Kürbisse und weitere Spezialitäten mit, dann wird es echtes kaukasisches Schaschlik geben.“

In Robinsonade oder mein englischer Großvater von Nana Dshordshadse wird Revolutionsgeschichte zur Familienlegende. Ein Engländer, vergessen von der britischen Telegraphengesellschaft, übernimmt die Rolle eines Till Eulenspiegels im roten Georgien. In der Rekonstruktion der Geschichte des Großvaters bleibt die Phantasie und Fabulierlust des Erzählenden deutlich zu spüren. Die Georgier schaffen es in ihren Filmen immer wieder, Außenseiter und Randfiguren aufzugreifen und aus Nebenaspekten eine neue Perspektive zu gewinnen. Auszug der Spatzen von Temur Babluani erzählt von einem Vaganten und einem Anstreicher, der ein phantastischer Lügner ist und von sich selbst immer als Opernsänger redet und wie eine Diva auftritt. Auch Eh, Maestro von Nadar Managadse handelt vom Traum des Künstlerseins, aber ohne die übliche Geschichte von Berufung, Erfolg oder tragischem Scheitern aufzugreifen: Hier endet der geniale Pianist, ohne Larmoyanz, ganz banal als Klavierstimmer.

Wenn es auch vielleicht so erscheinen mag, als wären neuerdings sowjetische Filme die große Mode in den Berliner Kinos, so geht es doch noch immer darum, sie über den Insider-Klub der Cineasten und Slawophilen hinaus populär zu machen. Trotz momentaner Kassenerfolge wie Die Kommissarin glaubt Fritze nicht, daß der sowjetische Film sich in den Kinos hier durchsetzen kann: „Die sowjetischen Filme erzählen weniger linear, sie haben keine durchschlagende Dramaturgie wie „Gut kämpft gegen Böse und gewinnt“. Russen und Georgier, die man fast die Italiener unter den Sowjets nennen könnte, knüpfen Episoden aneinander, episch, sehr differenziert, vielstimmig und manchmal kompliziert. Das widerstrebt den Sehgewohnheiten des Publikums hier. Eigentlich aber wäre das eine für Europa sehr angemessene Sehweise. Sie entspricht viel eher der Realität, der Mischung der Nationalitäten, der Kompliziertheit Europas. In den georgischen Filmen sind die Formen manchmal schon extrem verschlungen, mit vielfachen Spiegelungen, Ausdifferenzierung des Personals und Brüchen der Geschichte.“

Unter den neuen Filmen des Programms nimmt Abuladses Die Reue, eine Fabel über einen totalitären Diktator, dessen Leiche nicht unter die Erde zu kriegen ist, einen besonderen Stellenwert ein, denn mit ihm glaubte man Glasnost nun auch deutlich im Film ausmachen zu können. Der Schwimmer von Kwirikadse, in dem die stalinistische Denunziationspraxis eine Rolle spielt, wurde lange unter Verschluß gehalten und belegt, daß auch schon in den siebziger Jahren kritische Stoffe produziert wurden, nicht immer aber in die Kinos gelangten. Wahrscheinlich haben Die Reise nach Zopot von Nana Dshordshadse und Auszug der Spatzen eine ähnliche Geschichte, denn daß es Wanderarbeiter, Vaganten, ein Subproletariat in der UdSSR gibt, paßt nicht in ihr repräsentatives Selbstbildnis.

KBM

Die georgischen Filme laufen vom 25. bis 31. Mai in der Filmbühne im georgischen Original und werden deutsch über Kopfhörer eingesprochen. Filme und Zeiten siehe La vie.

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