piwik no script img

Das „Schätzchen“ wehrt sich

In den USA gilt ein umfassendes Gesetz gegen sexuelle Belästigung / An vielen Arbeitsplätzen kehrte ein neuer Umgangston ein / Manager müssen ins „Sensibilitätstraining“ über Belästigung  ■  Von Monika Bäuerlein

Minneapolis (taz) - Als eins von ganz wenigen Ländern der Welt haben die Vereinigten Staaten sexuelle Belästigung seit 1980 per Gesetz verboten. Seither haben Tausende von Frauen (und einige Männer) Betatscher und Witzereißer vor Gericht gebracht. An vielen Arbeitsplätzen ist ein neuer Umgangston eingekehrt, und in Medien und Universitäten ist „sexual harassment“ zu einem der heißesten Themen der achtziger Jahre geworden. Doch Feministinnen meinen, all das sei erst die Spitze des Eisbergs.

„Von zehn Belästigungsopfern beschwert sich allenfalls eins“, sagt die kalifornische Soziologin Barabara Gutek. Sie befragte vor zwei Jahren mehrere tausend arbeitende Frauen, und über die Hälfte gaben an, irgendwann im Laufe ihrer Karriere am Arbeitsplatz sexuell belästigt worden zu sein. Wenn all diese Frauen Beschwerde erhöben, meint Gutek, könnten sich amerikanische Arbeitgeber vor Prozessen nicht mehr retten.

Noch sind sich weder Gerichte noch Opfer so richtig darüber klar, was eigentlich sexuelle Belästigung ist. Eine Polizistin beschwerte sich, als Kollegen ihr Playboy-Blöcke anboten, um ihre Notizen quer über die Häschenbrüste zu schreiben. Eine Studentin verklagte ihren Profesor, der ihr im Labor von hinten in die Bluse linste.

Laut Gesetz ist sexuelle Belästigung eine Form der Diskriminierung. Ungerechte Bezahlung und Beförderung fallen ebenso unter den Paragraphen wie penetrante Anmache. „Im Prinzip sage ich den Frauen: Wenn's dir lästig ist, ist es womöglich Diskriminierung“, erklärt eine Firmenpsychologin, die Belästigunsgbeschwerden entgegennimmt.

Ein Problem dabei ist, daß die Belästiger ihr Verhalten meist nicht als aufdringlich empfinden und häufig gekränkt sind, wenn sie zur Rechenschaft gezogen werden. Scheinbar harmlose Komplimente a la „Schicker Rock heute“ haben schon Gerichtsverfahren in Gang gesetzt. „Bald kann ich im Büro überhaupt nichts mehr sagen“, beschwert sich Peter Rosha, Einkäufer in einer Import-Exportfirma. „Ich darf die Frauen, mit denen ich arbeite, nicht mehr als Frauen behandeln, darauf läuft's doch raus, sondern als Neutra.“

Kritiker sagen, das Anti-Diskriminierungsgesetz sei so weit gefaßt, daß es Personalentscheidungen lahmlege: Manager könnten niemanden mehr anstellen oder feuern, befördern oder versetzen, weil immer ein Prozeß um die Ecke lauere. Auch Mißbrauch ist nicht ausgeschlossen; Betriebspsychologen erzählen von Frauen, die Männer per Belästigungsklage aus ihrem Job beförderten und die Stellung dann selber einnahmen.

Die Wirkungen des Belästigungsverbots am Arbeitsplatz sind jedenfalls nicht zu übersehen. „Die meisten Männer wissen jetzt wenigstens, daß es sowas wie sexuelle Belästigung gibt, und daß Frauen das unangenehm finden“, sagt Mary Pitzer, eine Kamerafrau. Sie hat lange in der Bundesrepublik gearbeitet und findet, in dieser Hinsicht zumindest seien die Amerikaner den Deutschen voraus: „In Köln kam mein Chef jeden Morgen zur Tür rein und rief „Hallo Schätzchen!“ Ich war ganz platt, daß niemand was gesagt hat. Hier wäre der ziemlich bald rausgeflogen.“

Belästigungsklagen sind teuer - der höchste Schadensersatz bisher war 1,6 Millionen Dollar, die eine Supermarktkette einer Kassiererin zahlen mußte - und schlecht fürs Geschäft. Deshalb haben die meisten Firmen inzwischen „Anti -Belästigungspläne“ eingeführt. Bei Honeywell in Minneapolis zum Beispiel hängt in jedem Büro das Poster, von dem eine verschreckte Frau dem Betrachter entgegenblickt: „Sexuelle Belästigung ist strafbar“, steht darunter. „Wehr dich dagegen.“ Die Firma schleust alle Manager mindestens einmal in ihrer Karriere durch ein Sensibilitätstraining über sexuelle Belästigung und hat eine Beratungsstelle eingerichtet, die die Angestellten rund um die Uhr über „rote Telefone“ erreichen können.

Nach wie vor aber liegt die Last des ersten Schrittes bei den Opfern. Frauen, die belästigt werden, müssen in Kauf nehmen, von Kollegen geschnitten oder gar bedroht zu werden. Lori Janies, eine Elektrikerin, die nach vier Jahren gegen vier männliche Kollegen Beschwerde erhob, fand am nächsten Tag Kuhmist in ihrem Umkleideschrank; zwei Tage später baute ein Kollege sich vor ihr auf und erklärte: „Wenn du uns weiter verleumdest, bring ich dich um.“ Janies gewann den Prozeß und macht heute eine Therapie wegen „schwerer seelischer Schäden“.

„Was wir wirklich brauchen, um mit Belästigung fertigzuwerden, ist aktive Überwachung, nicht bloß passive Beschwerdeannahme“, sagt Barbara Gutek. Frauen empfänden sich nach wie vor als machtlos und wagten sich nicht, Job, Freunde und Kollegen für eine Beschwerde aufs Spiel zu setzen. Viele Frauen in ihrer Umfrage erklärten, sie hätten sexuelle Belästigung bis jetzt als „ganz normal“ empfunden. „Bis sich das ändert“, meint Gutek, „brauchen wir noch mindestens eine Generation“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen