: Das halbe Herz für die beste Freundin
■ Freundlich und unverbindlich - wie Frauen den Zank mit der Freundin umschiffen / Eine Untersuchung über Frauenfreundschaften zeigt, daß Frauen nur mit Männern richtig streiten können / Auch lesbische Frauen pflegen die falsche Harmonie
Sabine Stamer
Die beste Freundin ist dabei, wenn sich das junge Mädchen dem anderen Geschlecht nähert. Auf der Tanzfläche oder im Kino muß sie ganz allein mit dem Jungen und ihrem Herzklopfen fertig werden, aber vorher und hinterher bietet der Angehimmelte den Freundinnen endlosen Redestoff. Wenn die Liebe losgeht, ist die Freundin wichtiger als der, mit dem sie gerade „geht“.
Aber hat sie dann erstmal den Einen gefunden, den sie festhalten will, dann verliert die beste Freundin schlagartig ihre Bedeutung. Und die so plötzlich Mißachtete darf sich nicht einmal wundern, schließlich hatten die Freundinnen ja gemeinsam darauf gefiebert, den Mann fürs Leben zu finden.
„Was Freundinnen einander bedeuten“ wollen Michaela Huber und Inge Rehling in ihrem Buch „Dein ist mein halbes Herz“ herausfinden. Mit 60 Frauen zwischen 20 und 40 Jahren haben sie mehrstündige Tiefeninterviews durchgeführt, davon 30 heterosexuelle und 30 lesbische Frauen, alle berufstätig oder in der Ausbildung (mit einer einzigen Ausnahme). Hausfrauen mit der Bereitschaft, über ihre Freundinnen zu sprechen, hätten sich nicht finden lassen, bedauern die Autorinnen.
Die meisten der befragten Frauen bagatellisieren das Zerbrechen ihrer Mädchenfreundschaft, die sie in der Pubertät hatten. „Irgendwie verlaufen“ hat man sich, ohne daß man darüber gesprochen hätte.
Kein Schmerz? Keine Enttäuschung? Nehmen Frauen einander nicht ernst?
Zum zweiten Mal im Leben, so konstatieren Huber und Rehling, wird das Mädchen von einer Frau verraten, und obendrein wird der Verrat als ganz „natürlich“ dargestellt, als selbstverständliche Begleiterscheinung eines heterosozialen Lebens.
Schon die „erste beste Freundin“, die Mutter, hat das Mädchen spüren lassen, wie ungleich wichtiger die Beziehung zum männlichen Partner ist - trotz emotionaler Nähe zur Tochter. Ein Drittel des Buches ist dieser ersten Frauenfreundschaft gewdimet, denn das „Erbe der Mutter“ prägt das Verhältnis zu Freundinnen ein Leben lang.
Distanzierte oder verständnislose Mutter-Tochter -Beziehungen läßt die Untersuchung ganz unberücksichtigt. Die Rede ist nur von solchen Müttern und Töchtern, die ihre Geheimnisse teilen und lange, intime Gespräche führen. Das klingt zu schön, um wahr zu sein, und wenig später räumen die Autorinnen ein, daß so günstig das Verhältnis der Generationen doch nicht war. Die befragten Frauen fühlten sich häufig von der Mutter überfordert: „Viel zu viel hat sie mit mir über ihre Probleme geredet! Als mein Vater eine andere Beziehung hatte und diese Frau auch geschwängert war, da hat meine Mutter immer alles bei mir abgeladen. Das hat sie auch später immer gemacht. Ich habe mich immer verpflichtet gefühlt.“
Die Gespräche zwischen Tochter und Mutter bleiben ohne Konsequenzen; Ratschläge der Töchter werden nur in den seltensten Fällen befolgt: „Du kannst nicht in das Leben einer anderen Frau eingreifen“, lernen die Töchter laut Huber/Rehling (lernen sie denn irgendwo, erfolgreich in das Leben eines Mannes einzugreifen?). Die Autorinnen entdecken hier eine „Eigenart des weiblichen Diskurses“: einerseits Großzügigkeit, Toleranz, Uneigennützigkeit, andererseits Unverbindlichkeit. Typisch weibliche Aggressionshemmung?
„Sie sagt mir, daß sie das ganz anders sieht. Aber wir kriegen uns deswegen nicht in die Haare oder kriegen Streit oder werden böse aufeinander. Die eine sagt, wie sie's denkt, die andere sagt, wie sie's denkt. Und dann ist das akzeptiert. Reibereien oder ein schlechtes Verhältnis entstehen nicht dadurch.“ Und eine andere der befragten Frauen behauptet gar: „Wir haben immer eine Meinung...“
Frauen streiten nicht miteinander, auf jeden Fall haben sie arge Schwierigkeiten, sich auseinanderzusetzen und voneinander abzugrenzen. Die Interviews bestätigen diese Vorstellung 150prozentig. Ganz anders läuft das - jedenfalls bei den von Huber/Rehling befragten Frauen - inzwischen mit den Männern. „Wenn ich auf meinen Partner wütend bin, dann bin ich wütend. Ich kann das nicht verstecken. Ich sage, was mir nicht paßt. Erst ganz normal, denn es ist für mich normal zu sagen, was mir nicht gefällt.“ In der Hetero -Partnerschaft geht es also manchmal hart zur Sache, erzählt die Mehrheit der Frauen, wohlbemerkt alle berufstätig und damit finanziell unabhängig.
Warum dann fürchten Freundinnen den Krach miteinander? Die „typisch weibliche Aggressionshemmung“ bietet offensichtlich keine ausreichende Begründung.
Die Autorinnen suchen eine Erklärung über die Besonderheit der frühkindlichen Mutter-Tochter-Beziehung: Während der Junge merkt, daß er „ganz anders“ ist als die Mutter, fällt dem Mädchen die Abgrenzung von der Mutter, mit der sie sich (geschlechtlich) identifiziert, sehr schwer. Da sich ein Mädchen gegenüber der Mutter nicht als eigenständiges Ich empfindet, bedroht die Wut gegen die Mutter es immer auch selbst. Oder wie es eine der Frauen formuliert: Wenn sie die andere „ein Arschloch nennt, dann bin ich immer gleich eins mit.“ Rückzug, Schmollen, Schweigen
Auch lesbische Frauen haben große Schwierigkeiten, sich mit ihren Partnerinnen über die Beziehung auseinanderzusetzen: „Wenn es Probleme gibt, dann ziehe ich mich meist zurück. Ich kann nicht offen streiten. Ich schmolle und warte, daß sie auf mich zukommt.“ Während ihnen in der Öffentlichkeit häufig eine größere Aggressivität unterstellt wird, kämpfen die befragten lesbischen Frauen in ihren Beziehungen überwiegend mit den „typisch weiblichen“ Waffen: Rückzug, Schmollen, Schweigen.
Im Gegensatz zu den in dieser Hinsicht unbekümmerten Hetero -Freundinnen leiden die meisten Lesben unter ihrer mangelnden Fähigkeit zur Auseinandersetzung und wollen lernen, sich zu streiten. Woher rührt dieses unterschiedliche Empfinden? Was haben Sexualität und Aggression miteinander zu tun? Streitet eine Frau eher mit dem Menschen, mit dem sie auch schläft?
Michaela Huber und Inge Rehling finden eine Reihe möglicher - manchmal widersprüchlicher - Antworten. Hier nur eine ihrer Schlußfolgerungen: „Heterosexuellen Frauen ist der Partner so wichtig, daß sie sich mit ihm streiten. Für lesbische Frauen ist die Partnerin so wichtig, daß sie vermeiden, mit ihr zu streiten.“
Die besten Hetero-Freundinnen sehen dagegen ganz schön alt aus. Die nämlich umgehen den Zank aufgrund „freundlicher Indifferenz“, das heißt, sie nehmen sich einfach nicht so ernst. Und wenn es nicht um die Partnerin, sondern die beste Freundin geht, dann sind auch die befragten Lesben nicht gerade wild auf Auseinandersetzungen.
Die meisten lesbischen Frauen haben eine heterosexuelle beste Freundin - falls diese nicht anläßlich des lesbischen Coming-outs das Weite gesucht hat, was relativ häufig vorkommt. Sexualität (z.B. Probleme und Erfahrungen mit der Partnerin) ist in diesen besten Freundschaften kein Thema. „Wer wird schon einer Blinden von der Farbe erzählen?“ kommentiert das eine Frau bissig.
Homoerotik gehört immer noch zu den strengsten Tabus. Auch Frauen, die auf andere Fragen zu ihrer Sexualität offen antworten, trauen sich nicht, von sexueller Befriedigung durch und mit einer anderen Frau zu sprechen. Trotzdem: viele können sich durchaus eine „Liebesbeziehung“ mit einer Frau vorstellen und meinen damit eine vertrauensvolle, zärtliche Bindung. Schon die Pubertätsfreundinnen verloren kein Sterbenswörtchen über ihre erotischen Gefühle füreinander, obwohl fast alle Frauen von solchen Empfindungen zu berichten wissen.
„Wenn ich keine beste Freundin hätte? Oje! Das ist schlimmer als keinen Liebhaber zu haben oder keinen Mann.“ Ein verblüffender Widerspruch zur fehlenden Ernsthaftigkeit. „Was für den Mann die Geliebte, ist für die Frau die beste Freundin“, behaupten Huber und Rehling, „nämlich die Person, mit der die größte emotionale Intimität geteilt wird“. Die wesentliche Aufgabe der Geliebten / besten Freundin sehen sie darin, die Partnerschaft um den Teil zu ergänzen, der dort zu kurz kommt. Gemeinsam träumen
Frauenfreundschaften sind „im Land des Möglichen zu Hause“. Freundinnen träumen gemeinsam vom besseren Leben, von Schönheit, vom aufregenden Berufsleben und der wahren Liebe... Phantasievoll schaffen sie sich eine Ersatzwirklichkeit, die besänftigend auf die Realität zurückwirkt. Frauengespräche zielen nicht auf praktische Umsetzung, sondern auf Ausgleichung und Beruhigung. So tragen sie immer nur - ein vernichtendes Urteil der Autorinnen - zur Stabilisierung der Verhältnisse bei: Ärger mit dem Partner, am Arbeitsplatz, wo auch immer. Viele Frauen trauen sich nicht, ihrer Wut direkt Luft zu machen und ihre Interessen durchzusetzen. Also lassen sie in der Freundschaft Dampf ab - mit dem Effekt, daß sie an sich unerträgliche Situationen länger unverändert aushalten.
Vielleicht gefällt es den Frauen sogar, sich wechselseitig in der Opferrolle zu bestätigen, argwöhnen Huber/Rehling. Nach dem Motto: „Ich kann nichts dafür, du kannst nichts dafür - daß die Verhältnisse so sind, daran können (müssen) wir nichts ändern.“
Da hätte ich doch beim Lesen an vielen Stellen am liebsten aufgerufen: Schafft die besten Freundinnen ab, damit die Frauen erstmal zur Vernunft kommen! Oder andersherum: Frauen, weigert euch, beste Freundinnen zu sein, da werdet ihr nur als seelischer Mülleimer mißbraucht!
Michaela Huber, Inge Rehling: Dein ist mein halbes Herz. Was Freundinnen einander bedeuten. Fischer, Reihe Frau in der Gesellschaft. April 1989. DM 10,80. 262 Seiten
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