Eine Pferdedroschke nach Paris

Der Droschkenkutscher Gustav Hartmann aus Wannsee, „Eiserner Gustav“ genannt, startet am 2. April 1928 mit seiner Pferdedroschke, dem Fuchswallach „Grasmus“ und einem Reporter der 'Morgenpost‘ nach Paris. Die vom Ullstein -Verlag gesponsorte Fahrt wird zu einem Medienereignis, Hunderttausende jubeln Gustav unterwegs zu.

In Paris trifft Gustav am 4. Juni ein und geht später als Berlins berühmtester Droschkenkutscher in die Annalen ein. Der „Eiserne Gustav“ will mit seiner Fahrt gegen das protestieren, was seit der Berliner Droschkenordnung von 1927 beschlossene Sache ist: „Eine Erlaubnis zum Betrieb von Pferdedroschken wird nicht mehr erteilt.“

Bereits 1899 rollte die erste Motordroschke über die Straßen der Reichshauptstadt. Es war ein Daimler mit 6 PS zu einem Preis von 8.000 Reichsmark. Der Fahrer freilich mußte sich mit seinem Gefährt an den diversen Haltestellen für Droschken in die Schlangen mit Pferdedroschken einreihen und sich von seinen Kollegen allerlei Frotzeleien gefallen lassen. Außerdem blieben die ersten Motordroschken relativ häufig mit Pannen liegen, besonders das Kopfsteinpflaster riß oft die empfindlichen Reifen auf.

Die technische Entwicklung der Automobile schritt aber voran, und in den folgenden Jahren drängten die Droschken mit den PS unter der Motorhaube die Droschken mit den echten Pferdestärken immer mehr in den Hintergrund. In der Mitte der zwanziger Jahre schließlich stieg ihre Zahl sprunghaft an. Die deutsche Automobilindustrie produzierte immer mehr Fahrzeuge, zuviele, wie sich bald herausstellte. Dem Taxigewerbe kam dieser Mißstand zugute, es fungierte als Abnehmer für Teile der Überproduktion in der Automobilindustrie, die ihre Fahrzeuge zu günstigen Konditionen verkaufte.

In Berlin entstanden viele Droschken-Großbetriebe (der Börsenspekulant Jakob Schapiro hatte in den zwanziger Jahren 1.158 Droschken in seinem Besitz), von denen aber viele ein schlechtes Management hatten und unter mangelnder Professionalität litten. Zu dieser Zeit gab es in Berlin teilweise mehr Droschken als Fahrer, nicht alle Fahrzeuge konnten auch tatsächlich eingesetzt werden. Ein anderes Problem waren die hohen Tarife der Taxen. In der wirtschaftlichen Misere im Deutschen Reich - hohe Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne - war eine Fahrt mit der Motordroschke für viele unbezahlbar. Die Taxiunternehmer mußten mit Rabatten um Kunden buhlen. Kurzzeitig gab es sogar sogenannte Motorraddroschken, für die man nur die Hälfte des Fahrpreises einer Autodroschke bezahlen mußte.

Das Taxigewerbe geriet ins Schlingern und die rasante Expansion geriet ins Stocken. Viele Taxiunternehmer mußten Konkurs anmelden. Kleinstunternehmer mit nur einem Wagen konnten ihre Familien nicht mehr ernähren, denn oft nahmen sie nicht einen Pfennig Geld während einer Schicht ein. In Anbetracht dieses Mißstandes wurde die Zahl der auf Berlins Straßen zugelassenen Droschken reduziert. Fahrzeuge mit geraden und ungeraden Zulassungsnummern durften jeweils nur noch am Tage bzw. in der Nacht fahren, in wöchentlichem Wechsel. Jeder Droschkenunternehmer, der von zwei Wagen einen abmeldete, durfte mit dem anderen den ganzen Tag lang fahren. Trotzdem fuhren von ursprünglich 9.000 Anfang der dreißiger Jahre immer noch rund 6.000 Droschken.

Nach Hitlers Machtübernahme 1933 stand das Berliner Taxigewerbe dann ganz unter dem Einfluß der Nazis. Während die „Innung vereinigter Droschkenbesitzer Groß-Berlins“ im Herbst 1932 die Nazis noch als „Bonzen mit weichen Händen und großen Schnauzen“ bezeichnet hatte, griffen die Braunhemden schon kurz danach hart durch. Nach einem Runderlaß vom 28. April 1933 hatten sie in allen Gremien des Taxigewerbes das Sagen, Kritik und Widerspruch gab es nicht mehr. Die Taxen fuhren fortan unter dem Hakenkreuz und waren „für Juden verboten“.

Wirtschaftlich florierte das Taxigewerbe - nicht zuletzt auch wegen der Olympiade 1936 in Berlin - noch einmal bis zum Ausbruch des Krieges.

Im Zweiten Weltkrieg wurden Fahrer als Soldaten und Autos als Kriegsmaterial an der Front gebraucht, auf den Straßen waren kaum noch Taxen zu sehen. Die Fragmente des auseinandergerissenen Taxigewerbes organisierten einige Bezirksämter in Berlin. Kurze Zeit später war auch das nicht mehr möglich, und Droschken durften nur noch mit ausdrücklicher Genehmigung der NS-Behörden fahren. Kurz vor Kriegsende brannte das Gebäude der Berliner Taxiinnung in der Belle-Alliance-Straße aus - das alte Berliner Taxigewerbe war tot. Zwischen den Trümmern der ehemaligen Reichshauptstadt entwickelte sich ein neues Taxigewerbe nur zögerlich. Amerikanische und britische Besatzer gründeten in ihren Sektoren Taxiunternehmen („Taxi-Ball“, „Taxi Service West“) für die Angehörigen ihrer Streitkräfte. Wollte der deutsche Otto Normalverbraucher Taxi fahren, so mußte er mit einem der vielen von Deutschen schwarz betriebenen Taxis Vorlieb nehmen. Erst seit der Berlin-Blockade 1949 gibt es in Berlin (West) wieder ein privates Taxigewerbe.

Stefan Kuschel