: GUITARREROS FURIOSI
■ Der dritte von vier Gitarrenabenden in der Akademie
Wer denkt, Melancholie und Besinnlichkeit auf der Gitarre lassen sich nur durch Benutzung herkömmlichen Materials sei es durch Werke von Bach, Villa-Lobos oder die Musik von Künstlern wie zum Beispiel Philippe Catherine - erreichen, hat sich getäuscht. John Russel steichelt seine uralt Akustik-Klampfe nicht gerade. Er traktiert sie, verwendet Dissonanzen und abgehackte Rhythmen zuhauf, spielt nur selten Läufe oder Harmonien im traditionellen Sinne und schafft es eben doch, Spannungsbögen zu schaffen, die als Ganzes ein rundes, ausgewogenes Gefühl hinterlassen. Reiben mit dem Handballen auf der Gitarrendecke oder dem Steg verkommen nicht zum Geck oder hektischen Gequietsche, sondern nimmt hier eine Ostinato-Funktion ein, in der Ruhe wohnt. John Russel hat seine Aussage auf den Punkt gebracht, musiziert konzentriert und kompakt. Die beste Voraussetzung, die Tasse Kaffee in der Pause entspannt genießen zu können.
Als Anschlag auf die Gehörgänge erwies sich Stephan Wittwer. Er jagte die Frequenzen seiner elektrischen Gitarre durch allerlei Effektgeräte, hüpfte unablässig auf den Fußschaltern 'rum und erzeugte im Endeffekt eine Lautstärke, die die Schmerzgrenze erreichte. Einige der wenigen Zuhörer und Zuhörerinnen in der Akademie der Künste am Samstag abend quittierten ihm dies durch Entfernung vom Ort des Geschehens. Und eigentlich war es schade, denn Wittwer hat sich durchaus einen eigenen, durchdachten Stil angeeignet. Seine Geräuschkollagen, mit wenigen Zitaten aus elektrifizierter Gitarrensprache durchsetzt, sind faszinierend, lassen „Filme“ entstehen und sind selten unsinnig ausufernd. Weniger hektische Fußarbeit und geringere Lautstärke hätten ein besseres Bild hinterlassen.
Die erste „Ad hoc-Kombination“ an diesem Abend bestand aus Jacques Palinckx, Ken-ichi Takeda und Wädi Gysi, die als Mitglieder der lauten Zunft durch ekstatisches Gehabe nur nervten. Ganz anders das Duo Hans Reiche und Helmut „Joe“ Sachse. Sachse, noch ganz anders als Vertreter einer Spielweise in Erinnerung, die mit elektrischen Zahnbürsten und ähnlichem dem Instrument Töne entlockt, gab sich geradezu konventionell, schwelgte in melodischer und rhythmischer Vielfältigkeit, in die Hans Reiche nicht immer einsteigen konnte. Fanden die zwei jedoch zusammen, fügten sie aus ihren unterschiedlichen Stilen - Reich schuf mit seinen Spezial-Gitarren mit doppeltem Griffbrett und Steg in der Mitte eher Klangflächen - ein harmonisches Ganzes, das nichts zu wünschen übrig ließ. Hier standen zwei Musiker auf der Bühne, die mit viel Spielfreude, vorder- und hintergründigem Witz und ohne aufgesetztes Gehabe - trotz überragender Technik - eine runde Sache ablieferten: Musik pur.
ach
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