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„Das isses“: die Idee, die vom Spielplatz kam

■ Der CULTURE-Club begrüßt als 30. Mitglied: Gerburg Rohde-Dahl, Produzentin, Drehbuchautorin und Regisseurin vieler Kinderfilme

Der Eckladen an der Reederstraße soll der Gemüseladen werden, in dem die Eltern des „Hitlerjungen Herbert“ Gemüse verkaufen. Um die Ecke, das Haus mit dem blätternden Putz, wird wahrscheinlich das werden, wohin Herbert seiner Mutter nachradelt, die heimlich eine Jüdin mit Gemüse beliefert, Gerburg Rohde-Dahl kennt ihr Drehbuch auswendig. Die Kamera muß neben dem Jungen auf dem Fahrrad herfahren, der muß die richtige Geschwindigkeit halten, und dabei muß er spielen, ein Elfjähriger, der noch nie vor der Kamera stand. Das wird schwierig. Zwölf Drehtage sind angesetzt, Beginn: 28. Juli, Überziehen ist möglich, da Rohde-Dahl als Produzentin selber ihre Drehzeit ansetzt, aber ein Drehtag kostet 3000 Mark und geht auf ihre Kosten.

Hier, in dieser Straße soll der HJ-Zug einmarschieren, hier vor diesem Gartenzaun soll Herbert von seinem Fähnleinführer ge

ohrfeigt werden. Er hat die Fahne nicht gegrüßt. Die Häuser hinter dem Zaun stimmen, sie haben noch alte Sprossenfenster, eine Epochenscheidemarke.

Für den „Hitlerjungen Herbert“ haben Gerburg Rohde-Dahl und Christian Haisch, ihr Aufnahmeleiter, sonst Picolo -Kindertheatermacher, den ganzen Morgen Straßen, Wohnungen, Hauseingänge, Treppenabsätze inspiziert, von einer Wohn -Reform-Siedlung aus den 20er Jahren in Walle bis hier ins kleinstbürgerliche Milchquartier. Der Kinderspielfilm, gedreht mit Profi-Erwachsenen und Bremer Schülern als Hauptdarstellern, spielt in „einer deutschen Kleinstadt im Jahre 1942“. Da müssen die Autos von den Straßen, weil es im Krieg außer Militärfahrzeugen so gut wie keine gab, sagt Gerburg, die geschniegelten, gefliesten Häuser der 50er und 70er Jahre dem Kameraauge entzogen werden, die Straßenschilder Ecke

Reederstraße müssen wieder da an den alten Eckladen geschraubt werden, wo sie, noch kenntlich, früher saßen.

Alles stimmt in dieser Straße. Aber da, das Geräusch. Am Ende der Straße entsteht ein Neubau. Der Betonmischer kann alles kaputt machen. Lokalinspektion in der Baugrube und Befragung des Bauleiters ergeben: Ja, in einem Monat wird es hier noch heftig Lärm geben. Gerburg Rohde-Dahl steht hinter dem Bauzaun und wird ein bißchen kleiner. Das erste Mal an diesem Morgen sehe ich eine zaudern, die sonst ihr Handwerk mit erfahrener Sicherheit tut. Vielleicht, sie wird das überlegen, muß man doch in einen anderen Laden ausweichen.

„das isses“

Ihren Einstieg ins Kinderfilmen hatte die ausgebildete Grafikerin auf einem Kinderspielplatz in Hamburg. Dort saß sie samt Sohn Ole, - der Vater hatte sich, wie üblich, für die Kinderbetreuung strukturell unbrauchbar gefunden, sie selber war heftig antiautoritär bis links bewegt - und sah die Mütter in die Spiele und das Leben ihrer Kinder einschreiten. Ole betreuen und dabei filmen, „das isses“, dachte sie, und besorgte sich aus dem Jungfilmerkreis eine 8-mmm Kamera. Sie drehte einen Dokumentarfilm, den sie anschließend mit Eltern von ca. 30 Kindergärten diskutierte. Der Film war das entrebillet, für das sich das greenhorn ein Jahr später, 1972, von Radio Bremen den Auftrag holte, das ganze nochmal mit einer Kofilmerin zu drehen. „Mein Kind gehört mir“, hieß das 45 -Minuten Feature, anzüglich genug.

Über Produktionen für das Vorschulprogramm „Die Kleine Maus“ (RB/WDR) gelangte sie 1974 ins Vorschulprogramm des ZDF, arbeitete bis 1980 für die „Rappelkiste“, ein Vorschulprogramm analog zu ARD's Sesamstraße, bloß - die Redaktion dachte links - mit dem Akzent auf „sozialem Lernen“. In der Nachfolge wurden, seit 1980, die „Bettkantengeschichten“ erfunden. Eine solche wird auch der „Hitlerjunge Herbert“.

Rohde-Dahl ist alles in einer Person: (freie) Produzentin, die Team und SchaupielerInnen zusammenstellt, Drehbuchautorin und Regisseurin. EinE freieR ProduzentIn erhält vom Auftraggeber eine feste Summe, - bei Halbstundenfilmen liegt die bei etwa 200.000 Mark - bezahlt davon alle anfallenden Honorare und Kosten und hat über, was über bleibt. Eine Sicherung auf Abnahme weiterer Produktionen hat sie nicht, außer der, daß die Zusammenarbeit mit der auftraggebenden Redaktion eingespielt ist.

Zeigefinger

Die Kritik an der Klassengesellschaft, auf die sie früher ihre Filme trimmen wollte, muß sie nun nicht mehr unbedingt unterbringen. Aber gerüttelt aufklärerische Pädagogik schon noch. Warum, will ich wissen, müssen Herberts Eltern so gute Anti-Nazis sein und warum Herbert, der eigentlich normal in die HJ und eine „normale“ also Nazi-Familie haben will, am Ende auch? Weil, sagt Rohde-Dahl, es sonst so aussieht, als sei es nicht anders

möglich gewesen im Faschismus. „Ich denke auch, daß es da ein Versagen gegeben hat.“ Das Ausgangsthema, von der Redaktion gestellt, habe nicht der alltägliche Nationalsozialismus geheißen, sondern Zivilcourage.

Reagiert die Redaktion darauf, daß die Action-und Trickfilmserien für Kinder (und Mütter) von Sat-1 bis RTL -plus den ARD- und ZDF-Öffentlichen die Kinderzuschauer in Scharen entziehen? Nein, sagt Rohde-Dahl, nicht. Unter KollegInnen sind die ZDF-Bettkanten anerkannt, das, und

die jeweilige Qualität einer Sendung, zähle. Und ihre eigenen beiden Söhne? Die sind mittlerweile 20 und sehen sehr viel fern nach einer harten Jugend, in der sie jeden Tag nur einen Spielfilm bewilligt kriegten, als einzige der peer-group, und den noch Mutter-mitbestimmt. Ihr Sohn Ole, sagt die Filmerin, könne ihre Filme nicht gut leiden, zuviel pädagogischer Zeigefinger. Sie sieht betrübt aus bei diesem Satz. Und hat auch mittlerweile Lust, mal einen spielfilm ganz anderer Art zu produzieren. Einen Spielfilm zum Beispiel. Aber dazu müsse man auch mal drei Monate in einer anderen Stadt drehen können. Und das geht erst neuerdings, wo die Kinder groß sind. Kinder, sofern gehabt und normal entvatert und bemuttert, bestimmen auch Bedingungen und Themen der künstlerischen Produktion, fand die Berichterstatterin ihre Ahnungen bestätigt.

Uta Stolle

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