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ZUGLUFT VON VORN

■ „Die blöden 80er“ im Medienhaus

Warum 30 Jahre warten, wenn man auch gleich über das eigene Jahrzehnt lachen lann. Lachen? Ausschütten möchte man sich. Genug von diesen ebenso öden wie hochmütigen Selbstbestätigungsunternehmen wie „Rendevouz unterm Nierentisch“ oder „Als die Liebe laufen lernte“. Du liebe Güte, die warn damals schon 'nen Happen blöd, höhö. Zugegeben, das ist wohlfeile Nahrung für eitle Selbstverkenntnis, aber Gift für anständige Seelen, die lieber nicht 20 oder 30 Jahre mit dem Lachen warten möchten. Umso begrüßenswerter darum eine Ausstellung, die sich die 80er kompromißlos vorknöpft. Aber was heißt Ausstellung? Was da im Medienhaus in der Potsdamer Straße entstanden ist, kann man getrost als Gesamtkunstwerk mit lebenden Menschenkulturen bezeichnen.

Der Raum ist großzügig gestaltet, keine unnötige Beengung, über die ganze Fläche verteilt - um entsprechende Tische gruppiert - stehen Stühle (mit Sinus-Cosinus-Beinen), deren ganze Aufmachung den Besuchern originäre Individualität ins Gesicht beziehungsweise Gesäß posaunt. Die Massenansammlung der derart gestalteten Einzelstücke entlarvt deren großtuerisches Gehabe im Gegenzug gnadenlos und umgehend als eben das: Angeberei, Aufmotzerei und Blendsucht. Ein genialer Winkelzug der Ausstellungsmacher. Die vermeintliche Individualität massenhaft vorführen und schon gesellt sich die Lächerlichkeit ganz allein hinzu. Als zu interpretierende Symbolhaftigkeit tritt uns damit eine Meta -Aussage über die 80er entgegen. Sie sind hohl (der großzügige Raum) und ihr Selbstbewußtsein ist nur noch blöd (die Stühle). So auch das treffende Motto der Veranstaltung: „Die blöden 80er“.

Um diesen Effekt noch zu verstärken, ja gar um eine Schockerkenntnis mit selbstreflexiver Endlosschleife zu bewirken, wurden vom Künstlerdienst einige Dutzend Komparsen angefordert. Die sitzen nun den ganzen Tag in wechselnden Schichten im Ereignisraum und füllen den Platz auf oben genannten Prahlhans-Stühlen, indem sie diese kongenial erweitern. Der Ton ist haarfein getroffen, sorgt aber alsbald für Verwirrung, wenn man schon bald nicht mehr zwischen Besuchern und Komparsen unterscheiden kann. (Effekt: Irritation und die oben geforderte Selbstreflexion.)

Es wimmelt nur so von jugendhaften Aufsteigern, Aufgestiegenen und noch Aufsteigenden, die mondäne Gleichgültigkeit verstrahlen und denen man nichts mehr, wirklich rein gar nichts über südländische Cafes erzählen kann. Als ironisches Aper?u zu dieser tadellosen Albernheit auf mediterranen Fußbodenplatten zischt im Hintergrund der Espresso, der stets mit gewichtiger, wenngleich leicht abwesender Miene weggeschlürft wird. Bevor es aber soweit ist, muß das Mediencafe erstmal betreten werden (genau es ist ein Mediencafe, was gibt es auch Hirnverbrannteres und Zeitgeistmäßigeres als ein Mediencafe, das mit sich selbst unentbehrlichen Medienmenschen gefüllt ist?). Das Betreten also gestaltet sich nun derart, daß es dem unbefangenen Beobachter, den es natürlich nicht gibt, so erscheinen müßte, als sei der locker schwingend Eintretende nur mal eben kurz weggewesen, jetzt aber zurückgekehrt. Na welch ein Glück. Bravourös unterstützt wird der Auftritt durch wehende Hosenbeine und den familiären Blick in die Runde. Sind alle wichtigen Bekannten begrüßt, die nur dadurch wichtig werden, daß der Eintretende sie kennt, folgt die mondäne Gelassenheit wie gehabt. Großes Vorbild: Lord-Extra -Kinowerbung. Stundenlang möchte man dem eitlen Schauspiel der Komparsen folgen und des Lachens wäre kein Ende: Standing laughing all around. Denkt man. Aber ab einem bestimmten Punkt ist Sense, dann waltet nur noch der Stumpfsinn und große Traurigkeit. Das ist die sinnliche Erfahrung, mit der man das gelungene Gesamtkunstwerk verläßt. Meine Herren, die Achtziger sind ganz schön blöd.

Enno Bohlmann

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