Ein kurzes demokratisches Intermezzo

■ Schwere Unruhen und Ausnahmezustand in Argentinien

Die argentinische Nachkriegspremiere findet wohl nicht statt. Zum erstenmal seit 60 Jahren Geschichte des Landes wollte im kommenden Dezember eine gewählte Regierung die Amtsgeschäfte einer gewählten Regierung übergeben. Nach dem fulminanten Wahlsieg der Peronisten vor zwei Wochen und angesichts der riots dieser Tage wird Präsident Raul Alfonsin seine reguläre Amtszeit wohl nicht mehr durchstehen. Auch wenn es den peronistischen Oppositionsführer und designierten Präsidenten Carlos Menem verständlicherweise zur Zeit nicht gerade an die Schalthebel der Macht drängt, wird er sich dem Ruf von Unternehmern und Gewerkschaften nicht sechs Monate verschließen können. Doch eine Alternative zur Kriegswirtschaft Alfonsins hat er kaum anzubieten.

Daß der Peronist vorgestern mit dem parteilosen Miguel Roig den früheren Vizepräsidenten des größten argentinischen Konzerns und einen mächtigen Großgrundbesitzer zum künftigen Wirtschaftsminister ernannte, ist ein deutliches Zeichen. Roig, der das Land jahrzehntelang in großem Stil ausgeplündert hat, war auch schon als Wirtschaftsminister Alfonsins im Gespräch. Die vielen kleinen Plünderer dieser Tage haben von ihm keine Verbesserung ihrer miserablen Lage zu erwarten.

Eine reale Alternative hat der Peronismus nicht anzubieten. Sein tradiertes Gesellschaftsmodell, ein korporatives Machtsystem mussolianischer Prägung, das sich auf eine gewerkschaftlich organisierte Massenbewegung abstützt, gehört der Geschichte an. Peron, ein populistischer Caudillo par excellence, kam 1945 auf den Wogen der Revolte verarmter Arbeiter an die Macht. Er bot den „Hemdlosen“, wie seine Anhänger hießen, Krankenkasse, Altersversicherung, bezahlte Ferien und bessere Löhne. Doch schon 1973, als Peron aus seinem siebzehnjährigen Exil an die Macht zurückkehrte, erwies sich eine Neuauflage des Peronismus als Illusion. Den Konflikt zwischen der linksperonistischen Guerilla der Montoneros und den rechten Peronisten, die große Teile der Gewerkschaften und der Unternehmerverbände kontrollierten, entschieden die Militärs. Ihre Diktatur kostete Zehntausenden das Leben.

Der neue argentinische Caudillo, der Peronist Menem hat in einem äußerst populistischen Wahlkampf die Armen mit allen möglichen Versprechen mobilisiert. Wenn er nun ihnen - den Protagonisten der Ereignisse dieser Tage - aber nichts zu bieten hat als eine Utopie, die sich schnell als Luftschloß erweisen wird, ist nicht mehr auszuschließen, daß die Militärs ein zweites Mal das Land aus dem peronistischen Chaos „retteten“. Künftige Historiker würden dann die Ära Alfonsin als ein kurzes demokratisches Intermezzo in der an zivilen und militärischen Caudillos, an Diktatoren und Staatsstreichen nicht gerade armen Geschichte Argentiniens vermerken.

Thomas Schmid