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Gefoult nach Herzenslust

Das 0:0 in Wales hält der BRD den Weg zur WM nach Italien offen / Trinkerausweis und vernagelte Läden  ■  Aus Cardiff Ralf Sotscheck

Cardiff am Mittwoch um fünf Uhr morgens: Der erste Hinweis auf das Weltmeisterschafts-Qualifikationsspiel zwischen Wales und der BR Deutschland findet sich bereits am Hauptbahnhof. Unter dem Hinweisschild Hysbysrwydd, was auf walisisch „Information“ bedeutet, werden die Herren Kuck und Werdun von der Frankfurter Polizei aufgefordert, sich umgehend beim Streifenwagen vor dem Bahnhofsgebäude zu melden. Cardiff ist auf den Ansturm der deutschen Fans vorbereitet. Inspektor Bob Jones von der südwalisischen Polizei sagt, er habe „auf alle Fälle genügend uniformierte und zivilgekleidete Beamte, um die Stadt und das Stadion zu patrouillieren“. Er sei aber über den schlechten Ruf der deutschen Fans nicht weiter besorgt: „So schlimm wie die englischen Hooligans können sie gar nicht sein.“

Viele Geschäftsinhaber in der Nähe des Stadions treffen dennoch ihre eigenen Vorkehrungen. Bereits am Abend vor dem Spiel vernagelten sie ihre Läden mit Brettern. Die Kneipenbesitzer sind von der Polizei schriftlich vor den Gefahren des Fußballspiels gewarnt worden. David Whittaker hat das Pech, daß seine Royal Hotel Bar keine hundert Meter vom Stadion entfernt liegt. So verfiel er auf die Idee, Trinkerausweise auszustellen. Wer keine solche Trinkerlizenz besitzt, dem wird von sechs korrekt gekleideten, aber kräftigen Herren der Eintritt verwehrt. Margaret Thatcher wird sich freuen, daß ihrer geplanten Ausweispflicht für Fußballfans durch Privatinitiative der Boden bereitet wird.

Owain Glyndwr setzt dagegen auf das Geschäft. Seine Disko -Kneipe ist der Treffpunkt für die walisischen Fans. Eine Gruppe von ihnen hat die Bühne erobert und singt hartnäckig gegen die Musikbox an. Der Alkoholpegel ist hoch, viele werden die wenigen Meter zum Stadion wohl nicht mehr schaffen.

Im Cardiff Arms Park sind die Fans getrennt. Die 1.500 deutschen Schlachtenbummler werden mehrmals aufgefordert, das Stadion erst 15 Minuten nach Spielende zu verlassen, damit sie nicht mit Einheimischen zusammentreffen. Es ist das erste Fußballspiel, das im Cardiff Arms Park stattfindet, eigentlich ist es ein Rugby-Stadion, mitten in Cardiff gelegen. Erstmals bei einem Fußballspiel in Großbritannien gibt es nur Sitzplätze - die Stehplatztribünen sind abgesperrt. Der Schock von Sheffield wirkt noch, obwohl die Maßnahmen hier leicht fallen: Mit 32.000 Zuschauern ist das Stadion längst nicht ausverkauft.

Das Spiel beginnt pünktlich um 19 Uhr Ortszeit, womit der positive Aspekt dieser Begegnung schon zusammengefaßt ist. Zwar entwickelt sich ein schnelles Spiel im Mittelfeld, aber Sicherheitsdenken und zahlreiche Fouls verhindern jede Torchance. Schiedsrichter Carlos Valente aus Portugal greift von Anfang an mit theatralischen Gesten durch, aber das ficht die Spieler nicht an: Es wird weiter geholzt. So dauert es bis zur 30. Minute, ehe sich die erste Möglichkeit für Wales ergibt, doch Philips zielt genau auf Torwart Bodo Illgner. Die Mannschaft der Bundesrepublik erspielt sich in der ersten Halbzeit nicht eine einzige Torgelegenheit. Im Gegenteil - die äußerst unsichere Abwehr entgeht kurz vor der Halbzeit nur dank der Schußschwäche der walisischen Stürmer einem Tor. Direkt vor dem Pausenpfiff begeht Buchwald ein klares Handspiel im Strafraum, der Elfmeter bleibt aus, und der Stuttgarter versichert später, von Mark Hughes gefoult worden zu sein.

Die Waliser beginnen die zweite Halbzeit mit einem Sturmlauf, doch immer wieder zielen sie an Illgners Tor vorbei. Als Brehme gegen Hughes in der 50. Minute die Sense ausfährt, erhält er dafür zwar die gelbe Karte, dem gegnerischen Stürmer aber ist seitdem die Laune verdorben. Er foult nach Herzenslust, bis er wenig später ebenfalls Gelb sieht, weil er Häßler durch einen Judogriff hinterrücks gelegt hat. Die Offensive der Waliser bringt den Gästen einige Konterchancen ein, die größeren aber hat weiterhin Wales, unterstützt durch hahnebüchene Abwehrfehler vor Illgners Tor. Besonders Berthold liefert als Libero eine erbärmliche Partie und kann sich in der 66. Minute gegen Ian Rush nur mit einem Foul helfen, nachdem er dessen Antritt verschlafen hat. Weil Rush darüber vor Wut auf den Rasen trommelt, erhält er die gelbe Karte gleich mit.

Franz Beckenbauer, der Teamchef, kann mit dem torlosen Unentschieden zufrieden sein, besonders in der Abwehr hat seine Mannschaft stark enttäuscht. Lediglich der Neuling Alois Reinhardt bot als Manndecker gegen Rush ein solide Partie. Daneben konnten nur noch Stefan Reuter und Thomas Häßler überzeugen.

Beckenbauer und DFB-Präsident Neuberger frohlockten nach dem Spiel, weil die Qualifikation für Italien 1990 so gut wie geschafft sei. Man müsse jetzt nur noch Wales und Finnland zu Hause schlagen. Nach der Vorstellung vom Mittwoch können sie da gar nicht so sicher sein.

Die Niederländer schafften mit Mühe in Finnland ein 1:0 und führen die Gruppe mit 2 Minuspunkten vor der BRD an, die mit ihren drei Minuspunkten - falls beide ihre restlichen Spiele gewinnen - als „guter Zweiter“ nach Italien reisen könnte.

BRD: Illgner - Berthold - Reinhardt, Buchwald, Brehme Reuter, Häßler, Fach, Möller - Riedle (77.Klinsmann), Völler

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