: Raketen-Comeback in Bonn
Die Bonner Oppositionsparteien entdecken die Tücken der Nato-Entscheidung in Sachen Kurzstreckenraketen / Bundestagsdebatte zum Brüsseler Gipfel / SPD: Kontrolldebatten im November und Mai ■ Aus Bonn Andreas Zumach
Jetzt hat es die Bonner Opposition begriffen: „Gar kein Ergebnis wäre besser gewesen als dieses.“ In diesem Tenor reagierten SPD und Grüne in der Debatte des Bundestags gestern auf eine Regierungserklärung von Kanzler Kohl zur Kurzstreckenentscheidung der Nato. Sehr viel schärfer und präziser als in ersten Reaktionen vom Dienstag und Mittwoch kritisierten die OppositionsvertreterInnen im Bonner Wasserwerk gestern das Resultat des Brüsseler Nato-Gipfels. Der SPD-Vorsitzende Vogel, seine Fraktionskollegen Ehmke und Fuchs sowie die grünen Abgeordneten Schily und Beer begrüßten zwar die „durch einen Befreiungsschlag des US -Präsidenten“ (Ehmke) herbeigeführte Bereitschaft der Nato, in Wien jetzt auch über Truppen sowie Flugzeuge und Hubschrauber zu verhandeln. Alle lehnten sie jedoch die „dazu in beklemmendem Widerspruch stehenden Brüsseler Formelkompromisse zu den Raketen“ (Fuchs) ab. Sie widersprächen „dem deutschen Interesse“ und blieben „weit hinter der Regierungserklärung vom 27.April und dem Beschluß des FDP-Parteitags zurück“, so Vogel.
Der ins Auge gefaßte Zeitplan von zwölf Monaten für einen Abschluß in Wien sei „völlig unrealistisch“ und ein „Attentat auf jegliche rüstungskontrollpolitische Logik“, stellte Beer von den Grünen fest. „Die Bundesregierung hat vor Bush und Thatcher kapituliert, die die Wiener Verhandlungen notfalls in die Länge ziehen werden, um sich freie Hand zu verschaffen bei der Modernisierung der Kurzstreckenraketen.“ Mit diesen Worten kritisierte Schily das in Brüssel beschlossene Junktim zwischen einem Wiener Abkommen und dem Beginn von Verhandlungen über Kurzstreckenraketen. Er verlangte von der Bundesregierung statt sich zum „diskreten Gehilfen der Aufrüstung zu machen“ - anläßlich Gorbatschows Bonnbesuch Mitte Juni die Bekanntgabe konkreter einseitiger Abrüstungsschritte.
Eine dritte Nullösung sei in dem auch von Außenminister Genscher unter Mißachtung des FDP-Parteitagsbeschlusses unterschriebenen Gipfelkompromiß eindeutig ausgeschlossen, hieß es in übereinstimmender Analyse bei allen RednerInnen der Opposition. Bonn habe Fortsetzung auf Seite 2
FORTSETZUNGEN VON SEITE 1
außerdem unterschrieben, daß man die Entwicklung einer atomaren Lance-Nachfolgerakete ausdrücklich befürworte bislang war das als „rein nationale Angelegenheit der USA“ bezeichnet worden. Dies bedeute, daß die Dynamik der sogenannten Modernisierung „ein Stück verfestigt“ werde, „während Verhandlungen unter Ausschluß einer Nullösung von komplizierten und aufschiebenden Bedingungen abhängig gemacht“ würden (Fuchs). Vogel erklärte, „neue Kurzstreckenraketen“ werde es „mit der SPD auf deutschem Boden unter keinen Umständen geben - auch nicht nach den Bundestagswahlen“. Er kündigte an, daß die SPD entsprechend Bushs Zeitplan für Wien im November dieses Jahres sowie im Mai 1990 eine Debatte über den Stand der Dinge in Wien verlangen werde.
Schily und Fuchs kritisierten, daß Bonn sich bei den Diskussionen in Brüssel auf die Kurzstreckenraketen beschränkt und nicht auch die dafür vorgesehenen und zum Teil bereits stationierten MARS-Werfersysteme zur Sprache gebracht habe sowie die im Nato-„Modernisierungs„paket ebenfalls vorgesehenen neuen atomaren Artilleriegra
naten wie see- und luftgestützte Atomraketen. Beer: Besonders mit den weitreichenden luftgestützten Abstandsraketen sollten die militärischen Fähigkeiten der PershingII und Cruise Missiles klammheimlich wiedererlangt und „der INF-Vertrag unterlaufen werden“.
Schily warnte davor, „das Kleingedruckte“ im neuen Nato -Vorschlag über die Reduzierung von Flugzeugen zu übersehen. Die in Großbritannien stationierten Langstreckenbomber F-111 der USA sowie die französische Mirage2000 seien bereits ausgenommen. Premierministerin Thatcher hatte darüber hinaus erklärt, daß auch sämtliche atomwaffenfähigen Flugzeuge ausgespart blieben. Fuchs bezeichnete in der Debatte die in Brüssel erneut bekräftigte Nato-Strategie der „flexible response“ als „die politische Lebenslüge der Nato“. Wer daran festhalte, müsse „immer wieder modernisieren und aufrüsten“. Auch Ehmke und Vogel verlangten eine Abschaffung der „flexible response“ und ihren Ersatz durch eine Struktur gemeinsamer Sicherheit.
London (ap) - Der amerikanische Präsident Bush hat nach einem Treffen mit der britischen Premierministerin Margaret Thatcher am Donnerstag in London das Bestehen einer „besonderen Beziehung“ zwischen den USA und Großbritannien
hervorgehoben. Frau Thatcher bezeichnete die Unterredung als „eines der wertvollsten, erfreulichsten Gespräche, die ich seit langem hatte“. London ist die vierte und letzte Station von Bushs Europareise, die am vergangenen Freitag in Italien begann.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen