: Aufregung um HIV-Tests
Neue US-Studie über hohe Fehlerquote der HIV-Antikörpertests veröffentlicht / Aids-Virus durch klassische Testmethoden jahrelang nicht nachweisbar? ■ Von Manfred Kriener
Berlin (taz) - Eine soeben veröffentlichte Untersuchung über die Fehlerquote von HIV-Tests hat in den USA für erhebliche Aufregung gesorgt. Glaubt man der Studie, können die üblicherweise angewandten HIV-Antikörpertests das Virus über längere Zeit nicht nachweisen, obwohl die untersuchte Person infiziert ist. Die Studie wurde am Donnerstag im 'New England Journal of Medicine‘ vorgestellt. Viele amerikanische Zeitungen berichteten am Freitag auf ihren Titelseiten über die brisanten Thesen der Wissenschaftler.
Unter Leitung von David Imagawa hatten Wissenschaftler der Universität von Kalifornien in Los Angeles 133 promiske Schwule drei Jahre lang beobachtet. Zu Beginn sei bei keinem der Männer ein Nachweis von HIV-Antikörpern durch die üblicherweise angewandten HIV-Tests („Elisa“ und „Western -Blot“) möglich gewesen, alle Ergebnisse waren negativ. Unter Verwendung des neuen hochsensiblen Testverfahrens PCR (Polymerase Chain Reaction) sei im Laufe des Beobachtungszeitraums bei 31 Personen der Direktnachweis von HIV gelungen. Aber nur vier Personen hätten in dieser Zeit Antikörper entwickelt. Bei diesen vier wiederum sei das Virus in drei Fällen schon zwei Jahre vor der Antikörper -Ausbildung nachweisbar gewesen. These der Wissenschaftler: Das Virus schlummere offenbar längere Zeit - bis zu drei Jahren - unerkannt, weil die Ausbildung von Antikörpern länger dauere als bisher angenommen. Die Wissenschaft war bisher davon ausgegangen, daß es in der Regel innerhalb von sechs bis acht Wochen nach der Ansteckung zur Ausbildung von Anti-Körpern kommt, die dann durch die HIV-Tests „Elisa“ und „Western-Blot“ nachweisbar sind. Das von den US -Wissenschaftlern verwendete neue Testverfahren PCR wird seit eineinhalb Jahren auch in der Bundesrepublik angewandt. Die von uns befragten Wissenschaftler Meinrad Koch, Georg Pauli (Aids-Zentrum) und Reinhard Kurth (Paul-Ehrlich -Institut) bestätigten die außergewöhnliche „Sensitivität“ dieses Tests. Mit PCR wird nicht der Antikörper, sondern die virale Nukleinsäure gesucht, also das Virus direkt nachgewiesen. Selbst wenn nur eine von 50.000 Zellen infiziert sei, reagiere der Test positiv, sagte Pauli. Auf der anderen Seite gebe es „Riesenprobleme mit falsch positiven Resultaten“. Geringste Laborverunreinigungen könnten zu falsch positiven Reaktionen führen. Deshalb hänge sehr viel davon ab, wie sorgfältig die US-Studie durchgeführt worden sei. Die Wissenschaftler bestätigten allerdings die Seriosität des New-England-Journal'das zu den Fortsetzung auf Seite 2
besten und kritischsten wissenschaftlichen Fachzeitschriften gerechnet wird.
In den USA hat die Studie von Imagawa heftige Reaktionen ausgelöst. Die 'Washington Post‘ schreibt, viele Experten seien über die Ergebnisse schockiert. Unter Umständen seien viele negativ Getestete in Wirklichkeit positiv.
Harold Jaffe, Direktor des wissenschaftlichen Aids -Programms, forderte, daß die Ergebnisse von Imagawa in einer größeren Untersuchung überprüft werden müßten. Jaffe sieht die Brisanz der Studie vor allem in den Auswirkungen auf die Blutuntersuchungen. Die Blutspen
den werden weltweit üblicherweise mit „Elisa“ und „Western -Blot“ getestet. Hat Imagawa recht, blieben bei diesen Tests viele Infektionen unerkannt und kontaminiertes Blut wird weitergegeben.
Der Einsatz von PCR-Tests bei routinemäßigen Blutuntersuchungen ist unmöglich. Nach Auskunft des Deutschen Aids-Zentrums kostet ein Test mit PCR mindestens 2.000 Mark. „Elisa“ kostet drei, „Western-Blot“ etwa 15 Mark.
Wenn Imagawas Thesen stimmen, würde die Test-Politik über den Haufen geworfen. Sollten die klassischen Tests wegen der verzögerten Ausbildung von Anti-Körpern eine HIV-Infektion tatsächlich über mehrere Monate und Jahre nicht erfassen können, wären sie nur noch eingeschränkt anwendbar.
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