: „Ihr werdet alle abgewählt!“
■ Gegendemo der Tempolimit-Befürworter auf dem Ernst-Reuter Platz / Nur 150 stellten sich der Blechlawine entgegen
„Sie kommen!“ geht der Ruf durch die Gruppe der unerschrockenen Tempolimit-Befürworter, die sich um 16 Uhr auf der Mittelinsel des Ernst-Reuter-Platz versammelt haben. Rund 150 waren dem Aufruf der AL Wilmersdorf gefolgt, den Rasern Paroli zu bieten. Die Werber vom Verkehrsclub VCD („Der Verkehrsclub für Umweltbewußte“) stellen das Verteilen der Reklamezettel ein. AL-Vorstandsmitglied Christian Ströbele stellt sich in Positur. Die Gegendemonstranten bauen sich hinter ihren Fahrrädern auf und halten den Auto -Nomen ihre grün-weißen Tempo-30-Schilder entgegen. Langsam kriecht der Blechwurm die Bismarckstraße hinab. „Ihr werdet alle abgewählt“, drohend hängt sich ein junger Mann aus seinem aufgemotzen Opel-Kleinwagen. Kaum einer der Tempolimit-Gegner, der nicht beim Einbiegen in den Kreisverkehr die Fahrraddemonstranten zünftig mit dem „Autofahrergruß“ (Mittelfinger hoch!) grüßt. Auch die anderen Opel-, Ford- und Golffahrer wollen ihre Botschaften loswerden. „Grüne weg!“ schreit einer mit rot angelaufenen Gesicht. „Jeder Wessi darf schneller fahren“, wird den alternativen Spaßverderbern aus tiefstem Herzen und offenen Autofenstern entgegengeschleudert. Siegessicher werden Arme und Fäuste geschwungen. „Mein Gott, ist das eine komische Demo“, kommentiert eine junge Frau die blechumhüllten Alleinfahrer. „Die können ja nicht mal miteinander reden!“
Während nun ein gestylter R-5 nach dem anderen in die scharfe Rechtskurve am Ernst-Reuter-Platz einbiegt („Kreisverkehr ist schwierig“ - Zuschauerkommentar), einigen sich die Gegendemonstranten auf den zündenden Schlachtruf „Schneller, schneller“, in der Hoffnung, daß sich die Blechschachteln vielleicht doch selbst gegenseitig außer Gefecht setzten könnten. Doch vergeblich. So blieb David (rund 150 Demonstranten Pro-Tempolimit) im Kampf gegen Goliath (angeblich 18.000 Freie-Fahrt-Bürger vor dem Reichstag) nur die Genugtuung, mit dem Fahrrad an diesem Nachmittag auf jeden Fall schneller vor dem Reichstag angekommen zu sein.
Frauke Langguth
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