: Großkampftag der mobilen Anti-Limitisten
■ Protestfahrt der „Bürgerinitiative gegen Tempo 100 auf der Avus“ / 6.000 PKWs und 1.000 Krads legen fünf Stunden lang den Innenstadtverkehr lahm / „Republikaner„-Lenker Andres als Trittbrettfahrer der selbsternannten „Volksbewegung“
Die schöpferische Kraft der Massen hat wieder zugeschlagen: „Tempo 100, ick gloob ick spinne - Lieber Umweltschutz mit Köpfchen als beschränkt mit 100“, dichtete sich der Volksmund auf seinen Aufkleber zur samstäglichen „großen Berliner Protestfahrt und Kundgebung vor dem Reichstag“. Denn schließlich hatte die Bürgerinitiative „witzige Ideen und Aktionen“ für ihren samstäglichen Großkampftag mit 16.000 bis 18.000 Teilnehmern auf 1.000 Motorrädern und in 6.000 PKWs gegen das vom rot-grünen Senat vor kurzem eingeführte Tempo 100 auf der Avus versprochen.
Den ganzen Samstag nachmittag war der Verkehr durch die fünf Kolonnen, die sich nacheinander vom Stauraum am Grenzübergang Dreilinden fünf Stunden lang einmal quer durch die Stadt zum Reichstag schoben, „wie schon durch so viele Demos mal wieder so gut wie lahmgelegt“, wie ein Kundgebungsredner halb stolz auf „die neue Bewegung“, halb angeekelt vom Gedanken an demonstrierende Vorgänger aus dem „anderen Lager“ vor den schweigenden Massen sprachröhrte.
Fühlten sich die „überparteilichen“ mobilen Autisten zu Beginn der Protestserie vor zwei Wochen nur irgendwie diffus in ihrer Freiheit eingeengt, so haben die ihnen drohenden vor allem rot-grünen Gefahren mittlerweile erschreckende Dimensionen angenommen, und der Unmut „der Volksbewegung“ hat sich längst von der Avus auf die allgemeine Senatspolitik verlagert. „Wehret den Anfängen“, steht deshalb auf einem Transparent und gleich daneben steht der damit keineswegs gemeinte Berliner „Republikaner„-Lenker Bernhard Andres („Wir sind, wo der Bürger ist“), der zur Zeit - noch - auf eine Trittbrettfahrgelegenheit lauert. Schließlich droht nichts weniger Schlimmes als die autofreie Stadt, die jetzt klammheimlich eingeführt werden solle: Tempo 100 auf der Autobahn, Busspuren, Schließung bzw. Baustopp von neun Parkhäusern in der City, Tempo 30 in Wohngebieten - man wisse ja, wohin das führe, und wolle später nicht sagen, man habe von nichts gewußt, warnte ein aufrechter Anti-Limitist. „Freiheit in Berlin - nicht nur für Kreuzberger Plünderer“ fordern die Gegängelten, die sich in die große „Freiheits- und Umweltbewegung vom Atlantik bis zum Ural“ einreihen; „Aufklärung statt Verbote“ und „Miteinander reden, statt miteinander schweigen“, wünschen sich - ganz gegen-gauweilerisch - die von Heinrich Lummer (gen. „Albertz“) unterstützten Umerziehungswilligen vom sonst so geschmähten Sozialarbeiterstaat.
Gerade vor dessen Vertretern aus Kreisen der Alternativen Liste fürchtet man sich allerdings wieder gar schröcklich. „Die AL will uns die Autonomen auf den Hals schicken, damit die uns verprügeln“, waren einige überzeugt und hatten sich deshalb vorgenommen, sich nicht von erwarteten Farbbeuteln provozieren zu lassen. Doch die Provokationen blieben leider - aus. Etwas mehr Mühe und Aufmerksamkeit hätten sich die Ignorierten wohl schon erhofft, zumal sie sich doch so sicher sind, „daß demnächst politisch etwas passieren muß“. Was, wissen sie nicht so genau zu sagen - Gewalt, nein, nein, das wollten sie nicht, schlössen sie aber nicht aus. Vielleicht, daß einem Politiker einmal etwas passieren könnte oder daß Neuwahlen stattfinden müßten. Auf jeden Fall müßte als erstes irgendwie aufgeräumt werden - „gleich reingeschissen in den schwarzen Block“.
Gabriele Riedle
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