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Faschistische Wurzeln-betr.: "Mittelklassenkampf auf der AVUS", taz vom 30.5.89

betr.: „Mittelklassenkampf auf der Avus“, taz vom 30.5.89

Freie Fahrt für freie Bürger. Die Ideologie des ADAC, daß Autofahren, insbesondere das schnelle Autofahren, ein unverzichtbarer Teil der Freiheit sei, ist ungebrochen. Die rechte Mehrheit der CDU/CSU/FDP und der erstarkten Rechtsaußen nutzen diesen pervertierten Freiheitsbegriff für ihre Zwecke, stellen sich populistisch dar als Hüter und Verteidiger von Freiheit, Recht und Ordnung. Dabei unterschlagen sie - bewußt oder unbewußt - die gesellschaftliche Entwicklung des Autogebrauchs und ihre negativen Folgen. (...)

Ganz unbeachtet geblieben sind im 40. Jahr der Republik die faschistischen Wurzeln dieses Autowahns. Hitler hatte gestützt von einer interessierten Industrie - erkannt, daß Autos und Straßen „nationalpolitisch gesehen, mithelfen, das Gefühl der deutschen Volks- und Reichseinheit zu stärken“. Alle sollten teilhaben am „modernsten Verkehr eines modernen Volkes“. Hitler hatte als erster deutscher Politiker erkannt, daß mit dem Auto für alle eine Scheinfreiheit vorgegaukelt wird, die die Menschen erfolgreich davon abhält, sich um ihre tatsächlichen Lebens- und Politikinteressen zu kümmern.

Diese AutoMobil-Kampagne wurde bruchlos in die neue Republik übernommen. Der Wunsch nach Autobesitz entsprach den Finanz- und Machtinteressen der Kapitalgeber, die dahingehnd Einfluß nahmen auf die Besitz-, Wohn- und Freizeitinteressen der Lohnabhängigen.

Noch immer oder schon wieder ist „die Freiheit in Gefahr“, wenn 6,5 Kilometer Straße geschwindigkeitsbegrenzt werden. Merken diese „freiheitlichen Demokraten“ nicht, wie lächerlich sie sich mit ihrem Anspruch auf Alltagsraserei machen? Solange „Freiheit“ im Stau verwirklicht werden kann, tut es ihr auch keinen Abbruch, wenn sie bei Tempo 100 verwirklicht wird.

Augenzwinkernd wird bundesregierungsamtlich darauf hingewiesen, daß Tempolimits nicht umfassend kontrolliert werden könnten und daß die BundesbürgerInnen Geschwindigkeitsbeschränkungen einfach nicht akzeptieren. Mensch stelle sich die gleiche Argumentation zum Beispiel beim Vermummungsverot - der letzten Tat von Friedrich Zimmermann als Innenminister - vor. Genauso absurd ist der Waffenbesitz als Freiheitswert in den USA.

Gerade in einer Zeit, in der sich eine neue Rechte formiert, muß eine gesellschaftliche Diskussion über die „Freiheit des Autofahrens“ und die faschistischen Wurzeln der AutoMobilisierung geführt werden.

Helga Rock, Die Grünen, Bonn 1

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