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Genetik, KGB und Literatur

■ Detlef Grumbach sprach mit dem sowjetischen Schriftsteller Wladimir Dudinzew, dessen neuestes Buch „Die weißen Gewänder“ gerade auf deutsch erschienen ist

Der Roman „Die weißen Gewänder“ von Wladimir Dudinzew wurde nach seiner Fertigstellung im Jahre 1985 in der Sowjetunion nicht gedruckt. Obwohl der Autor, der 1980 mit der Niederschrift des Buches begonnen hatte, schon nach Abgabe des ersten Drittels einen Vertrag über die Veröffentlichung in der kulturpolitischen Zeitschrift 'Nowy Mir‘ abgeschlossen hatte, gab es ein langwieriges Verfahren mit Veröffentlichungsverbot durch den KGB als vorläufigem Ende. Der Roman erschien dann doch recht bald - aufgrund eines Zufalls. Er kursierte schon als vervielfältigtes Manuskript, und so wurde die Leningrader Zeitschrift 'Neva‘ auf ihn aufmerksam. Kurz nach Vorlage des Verbots durch den KGB schloß diese Zeitung einen Vertrag mit Dudinzew ab und druckte den Roman in den ersten vier Ausgaben der Zeitschrift im Jahr 1987.

Nach seinem Erscheinen löste der Roman heftige Diskussionen aus. Es geht um ein brisantes Problem: Vor dem Hintergrund der Entwicklung der sowjetischen Biologie und Genetik unter dem Stalin-Günstling Lyssenko geht es um „Gut und Böse“ im Stalinismus, um die Verhältnisse zwischen den Menschen im Klima von Wahrheitsbeugung, Denunziation und Verfolgung. In den dreißiger Jahren wurde die klassische Genetik in der Sowjetunion als „bürgerlich“ diffamiert, Wissenschaftler wurden inhaftiert, ins Lager gesteckt, Institute wurden aufgelöst. Lyssenko setzte dagegen seine absurden Theorien von der Vererbbarkeit anerzogener Eigenschaften durch - mit Hilfe der Bürokratie, des KGB und der Miliz.

Die Romanhandlung setzt im Jahr 1948 ein. Fjodor Deshkin, ein Revisor, wird in ein Institut geschickt, um hartnäckige Lyssenko-Gegner zu enttarnen, zu überführen und zu liquidieren. Aber er selbst gerät in den Bann wahrhafter Wissenschaft und beginnt ein gefährliches Doppelspiel. Eine spannende Auseinandersetzung setzt ein um Wahrheit, um Verantwortung und Ethos der Wissenschaft und die Möglichkeit des Stalinschen Machtapparats.

Grumbach: Sie hatten Schwierigkeiten mit der Veröffentlichung Ihres Romans. Es heißt, das Buch wäre sehr lange verhindert worden. Andere sagen, sie hätten nur so lange daran gearbeitet. Was ist geschehen?

Dudinzew: Die Arbeit an meinem Roman besteht aus verschiedenen Teilen. Zuerst komme ich in Berührung mit irgendwelchen Lebensumständen, dann wird meine Aufmerksamkeit auf sie gelenkt, und zum Schluß verspüre ich in meiner Seele das Heraufkeimen einer Idee. Ein Schriftsteller beobachtet ganz genau das, was um ihn herum vorgeht. Und dann wird er diese Beobachtungen in seiner Seele als Potential ansammeln. Dann wird er so auf die Gesellschaft einwirken, daß sich ähnliche Umstände nicht wiederholen. Und wie ein Kind, so muß auch ein Roman wachsen. Diejenigen, die sagen, ich hätte zwanzig Jahre an meinem Roman gearbeitet, haben wohl meine Schwangerschaft damit gemeint.

Angefangen zu schreiben habe ich im Jahr 1980. Das waren die letzten Jahre der Periode der Stagnation. Ich habe da noch nicht darüber erzählt, was ich geschrieben habe, weil ich Angst hatte, daß sich die Wut der Bürokratie auf meinem Haupt ansammelt und entlädt. Ich konnte mich noch sehr gut daran erinnern, was für einen Rüffel ich von der Bürokratie bekommen hatte für meinen Roman Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Ich habe in der Zeit von 1980 bis 1985 geschrieben und in dieser Schreibperiode sehr viel Kraft investiert. Ich habe dadurch zwei Herzinfarkte bekommen und einen Schlaganfall. Allerdings ist gottseidank alles ganz gut abgelaufen. Ich spüre fast keine Folgen mehr.

Als ich den Roman zu Ende geschrieben hatte, habe ich ihn in die Redaktion von 'Nowy Mir‘ gebracht. Allerdings muß ich dazu sagen, daß ich ihn in Teilen dort hingebracht habe: zuerst das erste Drittel. Dieser erste Teil hat einer Mitarbeiterin des Redaktionskollegiums sehr, sehr gut gefallen. Das ist eine sehr mutige Frau. Ihr hat das erste Drittel des Romans so gut gefallen, daß sie sofort mit mir einen Vertrag abgeschlossen hat. Und als ich dann das ganze Buch in die Redaktion gebracht habe, haben sie sich dort sehr erschrocken. Mir war diese Angst dort sehr verständlich, denn es war in einer Zeit, als die Perestroika ihre ersten Schritte machte. Viele Menschen standen damals noch mit einem Bein in der Vergangenheit. Und darunter auch viele Mitarbeiter von Redaktionen, unter anderem auch von der Redaktion von 'Nowy Mir‘. Sie hatten es mit der Angst zu tun bekommen und beschlossen, den Roman auf keinen Fall zu veröffentlichen. Jetzt war aber die Frage, wie man den Vertrag annullieren sollte. Sie haben sich so verhalten, wie sich viele andere Redaktionen auch verhalten haben in der Zeit vor der Perestroika. Das heißt, sie haben das Manuskript zum KGB getragen. Damals war aber die Perestroika schon in den KGB eingedrungen, und deswegen hat er sich zu dem Manuskript nicht so verhalten, wie es die Redaktion von 'Nowy Mir‘ wollte. Sie haben beim KGB sofort begriffen, daß es 'Nowy Mir‘ darum ging, mit Hilfe des KGB mit dem Autor Schluß zu machen, den Vertrag zu annullieren. Im KGB wurde begriffen, daß es sich dabei um ein schmutziges Spiel handelte, an dem er sich nicht beteiligen wollte. Man hat das Manuskript mit der Bemerkung an 'Nowy Mir‘ zurückgeschickt, daß der KGB solche dicken Manuskripte nicht konsultiert. Die Redaktion von 'Nowy Mir‘ begann sich den Kopf zu zerbrechen, was sie jetzt machen sollte. Sie haben einen Ausweg gefunden: Sie haben mehrere Seiten aus dem Buch herausgerissen, die besonders gefährlich waren, haben daraus ein zusammenhängendes Heft gemacht und haben dieses Heft mit der Bitte, es zu lesen, an den KGB geschickt. In diesem Fall konnte der KGB nichts mehr machen. Nachdem 'Nowy Mir‘ ihm die Pistole auf die Brust gesetzt hatte und „Hände hoch“ gesagt hat, hat er die Hände hoch gehoben und hat den Roman verboten, hat ein schriftliches Verbot verfaßt. Danach hatte 'Nowy Mir‘ einen Grund, den Vertrag zu stornieren und hat das auch getan.

Und was dann?

Ich habe nicht sehr lange geweint wegen diesem Mißerfolg, weil buchstäblich zwei oder drei Tage später der Chefredakteur der Zeitschrift 'Neva‘ aus Leningrad kam und sagte, er möchte den Roman gerne in der Zeitschrift veröffentlichen. Er hat den Vertrag abgeschlossen und der Roman wurde in der 'Neva‘ veröffentlicht. Aber trotzdem stank es in der Luft noch nach Schwefel. Aus dem Drachenloch kriecht die Zensur.

Wladimir Dudinzew: Die weißen Gewänder. Aus dem Russischen von Erich Ahrndt und Ingeborg Schröder. Roman, C. Bertelsmann-Verlag 1989, gebunden, 764 Seiten, 48 DM.

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