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40.000 für Peace-Now

■ Israelische Friedensbewegung warnt vor Rassismus in den besetzten Gebieten / Palästinenser sehen in Übergriffen politisches Kalkül

Mehr als 40.000 Menschen nahmen am Samstag abend in Tel Aviv an einer Demonstration gegen die Übergriffe jüdischer Siedler gegen palästinensische Bewohner der besetzten Gebiete teil. Sie folgten einem Aufruf der Pazifisten -Bewegung Peace-Now und der linken Oppositionsparteien Schinui, Raz und Mapam. Auch Abgeordnete der Arbeiterpartei von Finanzminister Schimon Perez nahmen an der Kundgebung teil, unter anderem der frühere Generalsekretär der Partei, Bar-Am. „Eine gefährliche Schwelle wurde überschritten“, sagte Bar-Am. „Es gibt heute Minister in Jerusalem, für die sich das Blut der Juden von dem der Araber unterscheidet.„

Aus der Westbank-Stadt Hebron, wo sich in letzter Zeit Übergriffe der Siedler gehäuft hatten, berichtet taz -Sonderkorrespondentin Beate Seel:

Drei jüdische Siedler mit Käppis und umgehängten Maschinenpistolen stehen an einer Straßenkreuzung im Zentrum der Stadt, fünf Meter weiter parkt der Jeep der israelischen Militärs. Von irgendwoher sind Schüsse zu hören, zum zweiten Mal schon an diesem Vormittag. Nach kurzem Verhalten geht jeder seinen gewohnten Geschäften nach. In den Vormittagsstunden, in denen laut einer Anordnung der palästinensischen Aufstandsführung die Läden geöffnet sind, herrscht reges Treiben in den verwinkelten Gassen des Souks in der Altstadt.

Ein Stück der Straße, an der die drei bewaffneten Zivilisten stehen, ist für palästinensische Autos gesperrt. Nur Fußgänger dürfen passieren, unter den mißtrauischen Blicken der dort postierten Soldaten. Hier, im Herzen der Stadt, haben sich die Siedler in einer Häuserzeile festgesetzt. Zwei Meter hohe Eisengitter, Stacheldraht, eine Reihe von als Blumenkästen garnierten Betonblöcken und Wachposten des Militärs sichern sie. Rückendeckung bieten ihnen nicht nur die israelischen Soldaten, sondern auch die nahegelegene Siedlung Kiriat Arba, eine Hochburg der radikalen Siedlerbewegung in der Westbank.

„Fast jeden Tag erleben wir hier die Konfrontationen mit den Siedlern“, sagt Ahmed Natscheh, ein ehemaliger Kandidat für die Bürgermeisterwahlen 1976 und für einige Zeit von den Besatzungsbehörden ausgewiesen. „Das war schon vor der Intifada so, aber in der letzten Zeit ist es viel schlimmer geworden.“ Davon kann Abu Nabil, Besitzer einer nahen Autowerkstatt, ein Lied singen.

Nur eine Schranke trennt sein Betriebsgelände von der Straße. Vor einer Woche rückte ein Trupp von etwa fünfzig bewaffneten Siedlern an, sie warfen Steine in sein Büro, brachen die Tür auf und nahmen Unterlagen mit. Bei fünf Autos, die im Hof standen, warfen sie die Scheiben ein, zerstachen Reifen. Auch die verglaste Veranda eines Hauses auf der gegenüberliegenden Straßenseite zeigen noch Spuren des Vandalismus. „Wir sind stinksauer, aber was können wir schon unternehmen, das Militär steht ja auf ihrer Seite“, kommentiert Abu Nabil.

Daß Militär und Siedler unter einer Decke stecken, daran gibt es für sämtliche palästinensischen Gesprächspartner in Hebron keinen Zweifel. Beispiel reiht sich an Beispiel, wo Soldaten die Siedler schützten, wo sie gar an Verwüstungen teilgenommen haben sollen.

Sicher, es gibt auch andere Beispiele, von Offizieren etwa, die sich mit Siedlern und Untergebenenen angelegt haben. Aber Hoffungen, daß sich mit den neuen Anordnungen des Militärs, gegen randalierende Siedler vorzugehen, wirklich etwas ändern wird, hat fast niemand. „Die Siedler machen, was die Soldaten nicht können“, sagt Ahmend Natscheh. „Die haben doch von oben grünes Licht bekommen, gegen die Palästinenser vorzugehen. Ein Teil der Regierung will eine Verschärfung der Situation, damit sie einen Vorwand haben, noch massiver militärisch gegen uns vorzugehen“, sagt ein andere Palästinenser. „Die Siedler kommen ihnen doch ganz recht, die Atmosphäre aufzuheizen.“

Eine längst verabredete Tour mit Siedlern nach Kiriat Arba fällt aus. Der Organisator macht den Vorschlag, sich einer Gruppe junger Amerikanerinnen anzuschließen, die eine Pilgerfahrt durch die Westbank unternehmen wollen. „Hinter diesen jungen Damen stehen 2.000 Jahre Geschichte“, versucht der Siedler für die Unternehmung zu werben. „Das sind die wichtigen news, nicht ob Steine hierhin oder dorthin fliegen, die ganzen politischen Nebelschwaden. Was denken sie, warum Mütter ihre Kinder auf Wanderungen durch die arabischen Dörfer schicken? Nicht etwa, weil sie keine Angst um sie hätten, weil sie sie nicht lieben, sondern weil doch ein historisches Recht darauf haben.“

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