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Vaclav Havel: „Die CSSR hat die konservativste Regierung in Mitteleuropa“

Von Monika Czernin und Oliver Lehmann  ■ M O N T A G S I N T E R V I E W

Frage: Sie wurden nach der Verbüßung der Hälfte Ihrer Haftstrafe entlassen. Im Januar waren Sie wegen Ihrer Teilnahme an einer Gedenkkundgebung für Jan Pallach zu acht Monaten Haft verurteilt worden. Haben Sie damit gerechnet, daß Sie vorzeitig entlassen werden?

Havel: Etwa einen Monat vor der Halbzeit meiner Haftstrafe gab es gewisse Anzeichen im Gefängnis, daß die Regierung vorhat, mich zu entlassen. Aber sicher war ich mir natürlich nicht.

Was waren das für Anzeichen?

Zum Beispiel verbesserten sich die Haftbedingungen. Oder es änderte sich etwas an der Art, wie die Wärter mit mir redeten. Es ist kompliziert zu erklären. Ich war nicht zum ersten Mal im Gefängnis, und ich kann sowas an der Atmosphäre feststellen. Obwohl ich in Insolationshaft war, konnte ich diese Anzeichen wahrnehmen.

Was war Ihrer Ansicht nach der Grund für Ihre Freilassung. Wollte die tschechoslowakische Regierung dem Westen eine Beachtung der Menschenrechte, möglicherweise aus wirtschaftlichen Überlegungen, signaliseren?

Das kann ich nicht beurteilen. Ich kann nur von meinen Eindrücken ausgehen. Ich glaube, die Regierung hat vor dem starken Druck kapituliert, den sowohl die öffentliche Meinung im Westen wie in der CSSR ausgeübt hat. Das war etwas vollkommen Neues. Viele offizielle Künstler in der CSSR haben verschiedene Petitionen für mich unterschrieben. Außerdem dürfte die in Paris stattfindende Menschenrechtskonferenz eine Rolle gespielt haben. Das Gefährliche ist jetzt zu glauben, daß, wenn Havel nicht mehr im Gefängnis ist, alles wieder in Ordnung ist. Es sind noch einige andere im Gefängnis, die nicht die Öffentlichkeit wie ich haben.

Wieviele Menschen sind jetzt noch im Zusammenhang mit der Gedenkkundgebung für Jan Pallach im Januar im Gefängnis?

Otakar Veverka und Jana Petrova sind noch im Gefängnis. Jana Petrova wird nächste Woche die Hälfte ihrer Haftzeit verbüßt haben. Dann werden wir sehen, ob die Regierung auch sie freiläßt oder nicht.

Nun wurde auch einer der Chartasprecher vom letzten Jahr, Stanislaw Devati nach einem mehrtägigen Hungerstreik aus der Haft entlassen, nachdem er bei der 1.-Mai-Kundgebung am Wenzelsplatz festgenommen worden war. Halten Sie das für ein Zeichen der geänderten Vorgehensweise des Regimes?

Wir leben im Moment in einer sehr komplizierten und wichtigen Zeit. Die Regierung agiert chaotisch, ohne Konzept. Es gibt unterschiedliche Phänomene und Druck von verschiedenen Seiten. Die Regierung weiß nicht, wie sie darauf reagieren soll. Ich bin aber so kurz nach meiner Entlassung nicht im Stande, eine konkrete Analyse der Ereignisse und der Regierung zu erstellen. Die Lage ist heute sicher offener als noch vor einigen Jahren. Alles ist möglich.

Kurz nach Ihrer Freilassung hatten Sie Besuch von Alexander Dubcek. Bedeutet das, daß die Charta jetzt mit Dubcek zusammenarbeiten wird? Peter Uhl wirft Dubcek ja vor, verantwortlich für die nach 1968 eingeleitete „Normalisierung“ zu sein.

Es war nur ein Freundschafts-Besuch. Ich war sehr froh, ihn zum ersten Mal nach 20 Jahren zu sehen. Wir haben keine politischen Diskussionen geführt, da er mich so knapp nach meiner Freilassung in meiner Wohnung besucht hat. Er hat seine eigene politische Linie, über die wir uns aber nicht unterhalten haben. Dubcek ist ein Sympathisant der Charta 77 und unterstützt unsere Arbeit.

Sie haben zwei Gründe für Ihre vorzeitige Freilassung erwähnt, nämlich die Menschenrechtskonferenz in Paris und den großen Druck der öffentlichen Meinung in der CSSR und aus dem Ausland. Glauben Sie, daß die Entwicklungen in der UdSSR, in Polen und in Ungarn Einfluß auf die Entscheidung der Regierung gehabt hat?

Sicher. In meinem Fall war es das erste Mal, daß die offiziellen Künstler- beziehungsweise Schriftstellerverbände nicht nur der UdSSR, Polens und Ungarns, sondern auch der DDR und Bulgariens gegen meine Inhaftierung protestiert haben. Das war für die Regierung etwas gänzlich Neues. Das ist Teil dieses neuen Phänomens, mit dem die Regierung nicht umgehen kann.

Setzt die allgemeine Entwicklung in anderen Ländern des Ostblocks die Regierung der CSSR unter Druck?

Es ist keine angenehme Situation für unsere Regierung im Moment. Diese Regierung ist die konservativste in Mitteleuropa. Sie versucht jetzt zwar, ihr Image zu verbessern, doch das geht nur soweit, wie ihre Politik nicht geändert werden muß.

Nach dem die sogenannten Reformer wie Strougal letztes Jahr aus der Regierung ausgeschieden sind, haben Sie jetzt irgendwelche Anzeichen, daß wieder die Reformer an die Macht kommen? Wie ist Ihre Prognose?

Ich kann das jetzt nicht beurteilen, weil ich nicht weiß, wie sich die Situation in den vier Monaten, in denen ich im Gefängnis war, geändert hat. Aber ich habe das Gefühl, daß die Stimmung im Land offener geworden ist. Die Leute haben mehr Mut, für ihr Anliegen einzutreten. Sie machen heute Sachen, die sie noch vor einem halben Jahr nicht gemacht hätten, weil sie Angst hatten.

Welche Aktivitäten werden Sie und die Charta in nächster Zeit unternehmen?

Wir werden einfach unsere Arbeit fortsetzen. Wir waren immer für einen Dialog mit der Regierung. Sie wollte zwar nicht mit uns reden, aber wir sind dazu bereit. Wir werden unsere Haltung nicht ändern.

In den letzten Jahren sind neben der Charta 77 andere Gruppen, vor allem von jungen Menschen gegründet worden, die 1968 nicht bewußt miterlebt haben und in den Jahren der „Normalisierung“ aufgewachsen sind. Diese neuen Organisationen, zum Beispiel die „Kinder Böhmens“, vertreten eine andere Art der Politik als die Charta. Was haben diese Organisationen mit der Charta zu tun? Und was sind die Erfolge dieser neuen Bewegungen?

Die Charta steht in Kontakt mit den anderen Gruppen. Wir haben nie einen Monopolanspruch gestellt. Wir sind für Pluralismus, und je mehr unabhängige Bewegungen es gibt, desto besser. Durch diese Gruppen, in denen sich Studenten und junge Leute betätigen, wird uns natürlich viel Arbeit abgenommen, was uns freut. Es ist sicher, daß die Existenz der Charta in dunklen Zeiten sehr wichtig war. Jetzt zeigen sich die Ergebnisse unserer Arbeit. Die Auswirkungen der Charta lassen sich aber erst bei einem größeren Abstand zur Gegenwart absehen. Wir werden sehen, was die Charta gebracht hat. Für viele Leute war die Charta sowas wie ein Symbol. Sie wissen nicht viel über unsere Arbeit. Aber sie wissen, daß die Charta eine Alternative ist.

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