Politische und religiöse Funktionen werden wieder entkoppelt

Dr. Ashga Schirazi leitet an der FU Berlin Projekte zur Sozial- und Wirtschaftspolitik der islamischen Republik  ■ I N T E R V I E W

taz: Welches Prozedere sieht die Verfassung der islamischen Republik zur Ermittlung eines neuen Imams vor?

Dr. Schirazi: Bis vor kurzem stellte sich das Problem der Nachfolge nicht, Ayatollah Montaseri wurde als designierter Nachfolger gehandelt, der sowohl als weltlicher wie auch als religiöser Führer in Frage käme. Er zählte zu den Besten der islamischen Rechtsgelehrten. Als Khomeini-Schüler wäre er auch in der Lage gewesen, sein politisches Amt zu übernehmen. Aber besonders in den letzten Jahren kritisierte er Khomeinis Staatsführung, die Kriegspolitik und insbesondere die Verfolgung der Oppositionellen. Er ging sogar soweit, die Verfolgungspraxis mit der unter dem Schah zu vergleichen und als schlimmer zu bezeichnen. Aufgrund solcher Äußerungen wurde sein Rücktritt erzwungen. Seither ist die gesamte Führung der islamischen Republik mit der Lösung des Nachfolgeproblems beschäftigt. Das ganze Konzept der Rechtsgelehrten basiert auf dem Prinzip, daß Herrschaft von demjenigen ausgeübt werden muß, der sich im islamischen Recht am besten auskennt. Unter den heute in Betracht kommenden Rechtsgelehrten vertritt jedoch keiner die Khomeini-Linie. Seit Ende April befaßt sich daher ein Gremium mit einer Verfassungsnovellierung, die von Khomeini gebilligt werden sollte und anschließend per Volksreferendum. Angestrebt wird nun eine Trennung zwischen politischem und religiösem Führer. Ein Vorschlag geht etwa dahin, daß zunächst ein politischer Führer bestimmt werden sollte, der später auch die religiösen Ämter bekleiden soll.

Im Vordergrund sollen nunmehr also eher politische als ideologische Kompetenzen stehen. Wird damit ein Trend weg von der Islamisierung hin zur Säkularisierung beschrieben?

Vorgesehen war natürlich, die beiden Funktionen zu koppeln. Da jedoch niemand zur Verfügung steht, ist man nun gezwungen, auf die Trenung zurückzugreifen. Das Gremium hatte indirekt auch die Aufgabe, eine Person zu benennen, die eigentlich von einem Expertenrat gewählt werden soll. Inzwischen konzentriert sich alles auf die Person Rafsanjani, der aber auch von beiden einflußreichen Mullahfraktionen als Kandidat für das Präsidentschaftsamt vorgeschlagen wurde.

Kürzlich hat Rafsanjani die Fatwa Khomeinis gegen Salman Rushdie aufgegriffen und mit Anschlägen auf britische, französische und US-Staatsangehörige gedroht. War dies bereits als ein Anbiederungsversuch an die Mullahs zu verstehen?

Ja, Rafsanjani ist ein sehr geschickter Taktiker, der immer versucht hat, in der Mitte zu stehen. Wenn er aber die Nachfolge antreten will, braucht er auch die Unterstützung der Extremisten. Es war nicht das erste Mal, daß er radikal tut.

Wird auch dieser Khomeini-Nachfolger den Titel des Imam tragen?

Der Titel des Imam ist ein sehr verschwommener Begriff. In der Person des Khomeinis hat eine Koppelung des religiöser und Politischer Funktionen stattgefunden. Das Amt des Imam ist nach der schiitischen Richtung des Islam eigentlich erblich. Aber die Verfassung der islamischen Republik ist keine rein schiitische Verfassung auch sie enthält säkularistische komponenten. Sie wurde nicht nur von den Mullahs getragen, sondern auch von Strömungen die zwar islamistisch orientiert waren, aber keine Herrschaft des islamischen Rechts wollten. Laut Artikel 5 und 107 der Verfassung ist Führer derjenige der als solcher vom Volke anerkannt wird. Existiert ein solcher Führer nicht, wird ein gewähltes Gremium mit der Nachfolge befaßt. Dieser Expertenrat wählt in Vertretung des Volkes den Führer. Insoweit beteht also eine Abweichung von der schiitischen Tradition. Der neue Führer wird zwar Imam heißen, aber als solcher keine Anerkennung finden. Denn ein Rafsanjani ist nur ein normaler mittelmäßiger Mullah. Er besitzt nicht einmal den Titel Ayatollah.

Glauben sie, daß sich damit das Modell einer islamischen Republik in der der religiöse Führer an der Spitze eines islamischen Staates steht überlebt hat.

Schon das Konzept ist von Anfang an gescheitert. Aufgrund der Scharia, der islamischen Rechtslehre sollten ja nicht nur die Belange des Islam sondern auch die der ganzen Welt gelöst werden können und zwar für alle Zeiten. Von Anfang an mußte man indes einsehen, daß man mit dem islamischen Recht nicht sehr viel anfangen kann. Gesetzte aus der Schahzeit mußten übernommen werden, neue Gesetzte erlassen werden, die überhaupt nichts mit dem Islam zu tun hatten. Dort wo man Sozial- und Wirtschaftspolitik im Sinne des islamischen Rechts betreiben wollte, stieß man auf ein Gesetzesvakuum. Sei es, daß man die entsprechenden Rechtsgrundlagen nicht vorfand, sei es, daß man über die anstehenden Auseinandersetztungen über die Durchsetzung so zerstritten war, daß man sich gegenseitig blockierte. Wie nicht anders zu erwarten, galt es im Sinne des islamischen Rechts soziale Kämpfe zu führen, etwa pro oder kontra Privateigentum. Ein Arbeitsgesetz etwa, das schon zu Beginn der Machtübernahme konzepiert war ist heute noch nicht durch die gesetzgeberischen Instanzen gegangen. Eine Landreform führte man nur insofern teilwewise durch als man sich nicht wagte die von Bauern besetzten Ländereien wieder zurückzufordern, eine islamische Lösung konnte bislang nicht gefunden werden.

Wie sehen sie die nähere Zukunft der islamischen Republik ohne den charismatischen Führer Khomeini?

Stellt man die Frage im staatsrechtlichen Sinne, so ist das Konzept des islamischen Staates von Anfang an gescheitert. Es gibt immer mehr Anzeichen für eine Säkularisierung, und diese Trenung zwischen Staat und Religion wird mit dem Tod Khomeinis weiter gehen, gesetzt den Fall der Staat bleibt bestehen. Auch im machtpolitischen Sinne wird mit dem Tod Khomeinis alles in Bewegung kommen. Khomeini hat eine Funktion ausgeübt, die heute von keinem mehr ausgeübt werden kann, es sei denn von einer politischen Vernunft im Sinne der Aufrrechterhaltung der Macht. Keiner wird in der Lage sein, Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Tendenzen zu schaffen. Auch bewaffnete Kämpfe sind nicht auszuschließen. Nach wie vor sind die beiden bewaffneten Organisationen, die Armee und die sogenannten Revolutionesgarden, sehr wahrscheinlich genauso gespalten wie die politische Führung. Nicht zu unterschätzen ist allerdings die Möglichkeit, daß die Fraktionen sich arrangieren, um nicht das gesamte politsche System zu gefährden. Dazu könnten auch die angekündigten Aktionen der Volksmuddschahedin beitragen. Immer wieder haben sie proklamiert, daß sie ihre im Irak aufgebaute Armee aktivieren werden, sobald Khomeini tot ist.

Interview: Simone Lenz