: In München fiel der Anti-WAA-Jubel ins Wasser
15.000 WAA-Gegner demonstrierten gegen die „Europäisierung der Entsorgung“ / Die gleichzeitige DVU-Kundgebung wurde massiv gestört ■ Aus München Bernd Siegler
„Wir haben Grund zum Feiern, stoßen wir miteinander an.“ Der nur mäßige Beifall, den die Vertreterin der Münchener Friedensbewegung Helga Wolf dafür auf der bundesweiten Demonstration „gegen WAA, Atomprogramm und Repression“ in München erhält, ist symptomatisch. Das jahrelang gewachsene Mißtrauen in Aussagen von Politik und Atomwirtschaft und nicht zuletzt der eine Stunde vor der Abschlußkundgebung einsetzende strömende Regen dämpfen die Freude über den Baustopp in Wackersdorf genauso wie die jetzt vorangetriebene Konzepte einer Europäisierung der Entsorgung. Die parallel zur Anti-WAA-Demonstration genehmigte Kundgebung der rechtsextremen „Deutschen Volksunion - Liste D“ (DVU) am Sendlinger Tor stellt zudem viele WAA-Gegner vor Entscheidungsprobleme, wogegen am Samstag in der bayerischen Landeshauptstadt sinnvoll Widerstand geleistet werden müßte. Knapp über 10.000 entscheiden sich für die beiden Demonstrationszüge gegen die WAA, etwa 2.000 für die massive Störung der DVU-Kundgebung.
Münchens Polizeipräsident Koller hatte tags zuvor schon großmundig angekündigt: „Für Chaoten haben wir Handschellen und Haftanstalten.“ Koller selbst leitet denn auch den Einsatz der 2.000 Beamten. 21 Demonstranten gegen die DVU -Kundgebung werden schließlich festgenommen u.a. wegen der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole (Hakenkreuz) auf antifaschistischen Aufnähern. Während sich die Polizei bei Personenkontrollen vor den beiden Auftaktkundgebungen der Anti-WAA-Demo ungewohnt zurückhält, werden wieder einmal die bayerischen Grenzpolizisten aktiv. Ein Bus mit WAA-Gegnern aus Wien wird zurückgewiesen. Begründung: ein Drittel der Businsassen sei „amtsbekannt“.
Der Zug vom Rotkreuzplatz macht sich mit einer die Atommafia symbolisierenden schwarzen Krake auf dem Lautsprecherwagen auf den Weg zur Abschlußkundgebung am Odeonsplatz. An der Spitze der „schwarze Block“ und die „oberpfälzer Zaunfraktion“. Sie fordern auf Transparenten die „Einstellung aller Ermittlungsverfahren“, die „Löschung aller gesammelten Daten“ und die „Rücknahme der Sicherheitsgesetze“. „Viva la Revolucion“ skandierend, ziehen sie durch die Münchener Innenstadt, vereinzelt fliegen vor der CSU-Zentrale, dem Landgericht und den Redaktionsräumen der 'Bild'-Zeitung Eier und Flaschen. Bevor die Demonstrationszüge den Kundgebungsplatz erreichen, durchnäßt strömender Regen die mittlerweile 15.000 WAA -Gegner. Schon um 16 Uhr muß die Abschlußkundgebung jedoch mangels Zuhörerschaft abgebrochen werden. Redebeiträge des BUND-Vorsitzenden Hubert Weinzierl und eines Bruders des israelischen Atomspions Meir Vanunu fallen ebenso ins Wasser wie der im Vorfeld der Demonstration heftig umstrittene Beitrag von Ingrid Strobl. Die Mahnung der Journalistin, die derzeit in Düsseldorf wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor Gericht steht, vor einer Spaltung der Bewegung angesichts zunehmender Repressionsmaßnahmen bleibt unausgesprochen. „Wo die Einschüchterung einmal Platz greift, da frißt sie sich wie eine Planierraupe in die Seele“, hatte Ingrid Strobl eigentlich sagen wollen.
Auch Armin Weiß, grüner Landtagsabgeordneter aus der Oberpfalz, verwahrt sich gegen Spaltungsversuche des Widerstands. Trotz „vielfacher Einschüchterungsversuche, Verfolgung und Bedrohung“ sei dies bislang nicht gelungen. „Wir dürfen uns heute gegenseitig auf die Schultern klopfen für diesen geschlossenen Widerstand“, betont Weiß. Doch es gelte jetzt, den Blick nach vorne zu richten. Schon allein die Tatsache, daß die WAA-Betreibergesellschaft DWK weder auf die Sofortvollziehbarkeit der bisher erteilten Genehmigungen noch auf das Gelände im Taxöldener Forst endgültig verzichtet hat, deutet für Weiß auf zukünftige atomare Projekte in der Oberpfalz hin. Er befürchtet, daß das riesige Gelände als Zwischenlager verwendet werden soll. „Der radioaktive Abfall kommt ja aus La Hague wieder zurück.“
Die gleiche Mahnung erhebt Didier Anger, Vertreter der Bürgerinitiative von La Hague. Zusätzlich befürchtet er, daß die „Regierungen Deutschlands und Frankreichs die atomare Bewaffnung Deutschlands vorbereiten“ und fordert einen gemeinsamen Kampf für ein „atomfreies Europa“. Um eine „Anti -WAA-Partnerschaft“ in die Wege zu leiten, sind bereits am Sonntag Vertreter der Schwandorfer Bürgerinitiative nach La Hague gereist. Im Anschluß an Anger richtet Rebecca Harms von der BI Lüchow-Dannenberg den Blick der bundesdeutschen Anti-WAA-Bewegung nach Norden. „Die Säule Gorleben im europäisierten Entsorgungskonzept muß wanken“, fordert sie und sendet gleichzeitig einen „Hilferuf“ aus. „Wir brauchen die ganze Kraft der Bewegung“, denn derzeit sei Gorleben der „am meisten vergessene Standort in der Bundesrepublik“. Als letzter Redner vor dem vorzeitigem Ende der Kundgebung wendet sich ein Vertreter der autonomen LUPUS-Gruppe aus dem Frankfurter Startbahn-Widerstand gegen ein bloßes „Beklagen der Repression“. „Wirkliche Mobilisierung“ erreiche man nur, „indem wir mit unserer Art zu leben und zu kämpfen andere begeistern und mitreißen - nicht als unschuldige Opfer, sondern als Täter“. Doch diese Worte erreichen nur noch wenige Demonstranten. Selbst die berüchtigten Unterstützungskommandos der Polizei haben sich zu diesem Zeitpunkt vor dem Regen in die U-Bahneingänge geflüchtet.
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