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Heute ist Fotografieren verboten

■ Eine Aktion gegen das Knipsen verunsicherte in Ost-Berlin viele Touristen

Der Neptunbrunnen am Alexanderplatz, ein von Touristen geliebtes Fotomotiv, war kürzlich umspannt mit einem Draht, woran in regelmäßigen Abständen Schilder hängten mit einer rot durchgestrichenen Kamera: Fotografieren verboten!

Ein älterer Herr aus England schleicht davon, seine Kamera unter der Jacke versteckend, zwei Schweizer Mädchen reagieren schwer enttäuscht, als sie das gerade verteilte Flugblatt gelesen haben: „Am 30. Mai 1989 ist Fotografieren verboten! Anläßlich 31 Tage permanenter Kunstkonferenz vom 28. Mai bis 30. Juni 1989 ist für einen Tag das Fotografieren untersagt.“ Ohne Kamera ist's nur noch halber Spaß! Und gerade das war Anlaß, diese Aktion zu organisieren. Es handelt sich hier nämlich nicht - wie viele zuerst denken - um ein staatlich dekretiertes Verbot, sondern um eine Aktion des Fotografen (er selber nennt sich Verfasser von Störbildern) Kurt Buchwald. Er bringt die Leute zum Nachdenken. Warum wollen sie eigentlich diesen Brunnen fotografieren? Warum bestimmt überhaupt das Sammeln von Bildern den größten Teil ihres Urlaubs? Am nächsten Standort wird dieses Thema weiter ausgearbeitet. Auf dem Platz vor dem Alten Museum wird nur ein Stück normales Straßenpflaster eingezäunt. Die Passanten sind verunsichert, was bedeutet das, was ist denn da los? Eine Schulklasse findet nach heftiger Diskussion eine für jeden akzeptable Erklärung: Es wird sich wohl um gerade neu gelegtes Pflaster handeln.

Am letzten Ziel, der Weltzeituhr am Alex, kommt es zum ersten Mal zu Kontakten mit den Behörden. Ein passierender Vopo fordert mich auf, rasch meine Kamera wegzupacken und zu verschwinden, ich sähe doch, daß Fotografieren hier verboten sei! Erst ein paar hundert Meter weiter überlegt er sich, daß da irgendwas nicht stimmt. Nach ausführlicher Rücksprache mit einigen Kollegen kommt er zurück und läßt alles abbauen. Zwei der Veranstalter werden mitgenommen. Ende der Aktion. Aber als ich durch die Innenstadt zur Friedrichstraße zurücklaufe, sehe ich noch auf vielen fotogenen Monumenten Aufkleber „Fotografieren verboten!“ und ich überlege, warum ich eigentlich immer nur durch meine Kamera die Welt anschaue.

Erik-Jan Ouwerkerk, Fotograf

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