Das Pfand Hongkong

Gewiß, der blutige Sonntag in Peking hat die Welt schockiert. Die Bilder einer Armee, die mitleidslos ohne Rücksicht auf Unbewaffnete und Unschuldige schießt, wurden um die ganze Welt gefunkt und überdeckten den Tod Khomeinis. Doch auch der weltweite Protest wird Chinas Führer kaum berühren. Verbarrikadiert in der Heiligen Stadt, inmitten eines Meers von Protestierenden, haben Deng Xiaoping und seine Genossen eine Belagerungsmentalität entwickelt: jeder da draußen ist unser Feind.

Schon in der Vergangenheit hatte internationaler Druck in Sachen Menschenrechte wenig Erfolg. Als Deng vor zehn Jahren den demokratischen Studentenführer Wei Jingshen einsperren ließ, erklärte er unbekümmert: Von der internationalen Gemeinschaft haben wir nichts zu befürchten - keiner hat etwas getan, um uns aufzuhalten.

Während die Staatsmänner sehr schnell ihre Bestürzung kundtaten, werden wirtschaftliche Sanktionen wahrscheinlich ausbleiben. Der Ex-US-Außenminister Kissinger formuliert die im Westen verbreitete Ansicht, „China ist ein zu wichtiges Land, um in die Isolation oder zu einer Annäherung an die Sowjetunion zu geraten“. Aber falls etwa der Druck des US -Kongresses zu einem sofortigen Waffenexportverbot nach China führte, hätte dies unmittelbare Auswirkungen auf die Situation im Lande. Hier liegt die Achillesferse der militärischen Führung.

Die größten internationalen Auswirkungen werden die Massaker auf Hongkong und Taiwan haben. Die Bevölkerung Hongkongs, die bislang als unpolitisch galt, ist bereits an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden zu Millionen auf die Straße gegangen, organisierte ein Benefizkonzert und sammelte Millionen von Dollar - die blauen Zelte auf dem Tiananmen, die von den Panzern mitsamt der in ihnen Schlafenden überrollt worden sind, waren den Studenten von Kommilitonen aus Hongkong geschickt worden.

Selbst die traditionell pro-chinesische Presse der Stadt hat das Massaker verdammt, und einige Mitarbeiter der chinesischen Nachrichtenagentur 'Neues China‘ haben eine öffentliche Protesterklärung unterzeichnet. Für heute ist in der Kronkolonie zu einem Generalstreik aufgerufen worden. Die entschlosseneren unter Hongkongs Politikern, wie Martin Lee, haben zu einem sofortigen Abbruch der bilateralen Verfassungskommission aufgerufen, „solange, bis es in Peking wieder eine Regierung gibt, mit der man eine Übergabe Hongkongs verhandeln kann, ohne seine Glaubwürdigkeit aufzugeben“. Die Kommission sollte nach 1997 die Regierungsgeschäfte in Hongkong übernehmen.

Der britische Außenminister Howe versprach Sonntag nacht, „Großbritannien wird seinen Verpflichtungen gegenüber Hongkongs sicherer Zukunft nachkommen“, aber in jedem Fall würde Hongkong 1997 an Peking übergehen. Seit der britisch -chinesischen Erklärung von 1984, die als diplomatischer Triumph gefeiert wurde, ist die britische Regierung einer Appeasement-Politik gegenüber Peking angeklagt worden. Sie habe das Wohlergehen Hongkongs einer Verbesserung der Beziehungen zu Peking geopfert. Viele waren auch erbost darüber, daß London das Abhalten der ersten Direktwahlen zum Parlament auf 1991 verschob. Aber der wachsende Druck auf Frau Thatcher, den Demokratisierungsprozeß zu beschleunigen, wird sich nun als unumgänglich erweisen.

Über 80.000 Hongkonger haben ihre Stadt in den letzten zwei Jahren verlassen, und nach dem Zusammenbruch von vorgestern ist ein verstärkter brain-drain unvermeidlich. Der Aktienindex der Börse in Hongkong fiel am Montag um 22 Prozent, und die Menschen standen vor den volkschinesischen Banken Schlange, um ihre Guthaben abzuheben. Es sind Bilder dieser Art, vor denen Chinas Führer die meiste Angst haben. Ihr schlimmster Alptraum wäre, in acht Jahren, wenn die Übergabe Hongkongs ansteht, den Einsatz vom Sonntag wiederholen zu müssen. Dann könnte die internationale Gemeinschaft nicht mehr protestierend, sondern tatenlos zusehen.

Die Furcht, Hongkong zu verlieren, und - noch schlimmer Taiwan, zu dem die Beziehungen Pekings in den letzten Jahren immer besser geworden sind, wird sicherlich einen Einfluß auf die militärischen Führer in China haben, und vielleicht auch auf die politischen Machthaber.

Larry Jagan