: „China hat andere Probleme als unsere Illusionen“
■ Bremer Ehepaar berichtet von ihren enttäuschten Revolutions-Idealen und dem bundesdeutschen Desinteresse an heutigen China
Das Bremer Lehrerehepaar Dieter und Ursula Heilbronn hat von 1980-82 und 84-86 insgesamt vier Jahre in Shanghai gearbeitet. Dort waren sie auch auf der Suche nach dem eigenen Revolutionsideal. Die konkreten Erfahrungen ihrer ersten zwei Jahre in China wollte 1982 in Bremen niemand glauben. Nach der zweiten Rückkehr 1986 war China in Bremen überhaupt kein Thema mehr.
taz: Würdet ihr morgen wieder nach China fahren, wenn ihr könntet?
Dieter Heilbronn: Ich? Nein. Weder würde ich in ein Land in einer solchen Situation der Auseinandersetzung fahren, noch kann ich mir vorstellen, daß ich freiwillig in ein Land fahre mit einer solchen Diktatur, wie sie da im Augenblick herrscht. Das ist kein Land meiner politischen Sympathie mehr.
Aber vielleicht Neugier?
Ursula Hartmann-Heilbronn: Ich würde gern wissen, was meine Freunde und Kollegen da machen, wie es ihnen geht. Aber nach China fahren - nein. Auch nicht aus Sensationslust.
Wann ist denn das umgeschlagen? Ihr seid doch einmal aus Lust an China dorthin gegangen...
Dieter: Meine Sympathie zu China ist nicht umgeschlagen, ich habe sie nach wie vor - aber gespalten. Ich bin 1980 hingegangen sehr wohl mit der Neugier, ob sich in diesem nachrevolutionären Land etwas finden läßt, was für unsere Zukunft erstrebenswert wäre. Das habe ich nicht gefunden. Aber ich habe viel gefunden, was - chinesisch beurteilt vorbildlich ist.
Du warst doch jahrelang Anhänger der chinesischen Entwicklung?
Dieter: Beworben habe ich mich 1977, als ich hier Berufsverbot hatte und also meinen politischen Interessen nachgehen konnte. Ein Jahrzehnt war ich treuer Leser der Peking-Rundschau gewesen, habe alles geglaubt, was da drinstand. Als wir uns konkret vorbereitet haben auf diese Arbeit, da habe ich erst andere Klarheiten bekommen. Dabei spielte natürlich eine Rolle, was in den späten 70er Jahren über die Kulturrevolution bekannt wurde.
Was war das?
Ursula: Ich glaube, das war das Buch der Broyelles („Zweite Rückkehr aus China“), es gab heftige Diskussionen innerhalb der Linken, man hat das lange Zeit nicht geglaubt, was die berichtet haben.
Woran liegt sowas?
Dieter: An einer tiefen politischen Bedürftigkeit. Hier im eigenen
Lande wenig Möglichkeiten zur Praxis - viele Linke sind Illusionen hinterhergelaufen rund um die Welt.
Ursula: Ich bin mit europäischen Illusionen dahingegangen..
Linkseuropäischen?
Ja. Das hat zu einem bösen Erwachen geführt. Bei mir auch zu Ungerechtigkeiten in der Beurteilung des Landes. Ich brauchte eine ganze Zeit, um zu begreifen, daß es falsch ist, mit unseren Maßstäben da heranzugehen und zu gucken, ob man das, was wir nicht schaffen, da finden kann. Als wir dann zurückkamen, 1982, wollte das eigentlich keiner hören, was wir erlebt haben. Da wurde ganz schnell gesagt: Guck mal, die sind auch umgefallen. Unter den China -Sympathisanten war ganz wenig Bereitschaft, sich auseinanderzusetzen mit dem, was uns widerfahren war.
Dieter: China hat ganz andere Probleme als unser Illusionen. Es hat lange gedauert, bis wir damit so umgehen konnten, daß wir uns sagten: Vorzuwerfen ist nicht China irgendetwas, sondern wir haben uns unsere Leichtgläubigkeit vorzuwerfen.
Nach eurem zweiten Aufenthalt in Shanghai, 1984-1986, habt ihr weniger Probleme gehabt, Zuhörer zu finden?
Ursula: 1986 wollte keiner mehr was hören. Alle waren auf irgendwelchen Psycho-Trips. Da haben wir den Eindruck gehabt: Wir können uns im Grunde nur mit Leuten unterhalten, die auch in China waren. Wir haben dann auch keinen Versuch mehr gemacht. Da war gar kein Interesse mehr.
Dieter: Ich habe das Gefühl, daß nicht erst in den letzten Jahren das Interesse wieder größer geworden ist, weil es mehr an öffentlichem Bewußtsein ist.
Ursula: China war für mich das erste Land der Dritten Welt, das ich besucht habe. Beim zweiten Aufenthalt sind wir auch nach Birma gefahren zum Beispiel, haben dort den Gegensatz von Arm und Reich gesehen, kranke Kinder auf der Straße, verschmutzte Großstädte - jedesmal, wenn wir nach China zurückkamen, hatten wir das Gefühl: Die haben was geschafft. Dann haben wir China an anderen Maßstäben gemessen.
Was bedeuten die China-Erfahrungen heute für euch?
Dieter: Nachhaltige Frustrationen. Wenn man aus China zurückkommt und geht hier in einen Supermarkt: Man ist schockiert. Das zweite ist: Ich persönlich habe es bis heute geschafft, es für völlig uninteressant zu halten, was in unserer Demokratie passiert. Hier politisch tätig zu wer
den, ist so ganz schwer. Da ist Einsamkeit.
Ursula: Mir ist das anders gegangen. Ich habe in der Auseinandersetzung mit China das Gefühl bekommen: Ich bin Europäerin. Ich habe Dinge wie unsere Presse sehr schätzen gelernt, wie frei
auch immer sie ist, Gewerk schaften. Das waren Schlüsselerlebnisse. Ich habe dann nach zwei Jahren ganz klein angefangen, mache an meiner Schule was und bewege nicht mehr die große Welt. Ich habe dann für den Personalrat kandidiert. Ohne große
Illusionen. Politisch insgesamt doch Orientierungslosigkeit, Traurigkeit. Letztlich keine politische Heimat mehr.
Eben ist das Wort Revolution gefallen. Welche?
Dieter: Die Chinesen selber sprechen von der Befreiung. Viel
leicht sollte man bei diesem Begriff bleiben. Sie sind 1949 von vielem befreit worden, vor allem von den drangsalierenden Eigentumsverhältnissen...
Du meintest also nicht die Kulturrevolution 1966 ...
Dieter: Nein, 1949.
In der Kulturrevolution sollte Demokratie verwirklicht werden, aber ohne Kapitalismus. Das scheiterte. Deng wollte ein bißchen Kapitalismus einführen, aber keine Demokratie. Gehört das beides zusammen?
Dieter: Das ist eine gewagte Verkürzung. Die Kulturrevolution war eine Spielart des Machtkampfes in China, alles, was wir hier an wunderbaren Zielsetzungen gelesen haben, war nicht gemeint. Die Kulturrevolution wird in China heute mit der Nazizeit in Deutschland verglichen.
Ist das Sozialismus in China oder Kapitalismus?
Ursula: Das kann man nicht beantworten. Wenn ein sozialistisches Land Wirtschaftsreformen macht, die sowas wie kapitalistische Erinnerungen hervorrufen oder marktwirtschaftliche Elemente einführt, muß das nicht zwangsweise heißen, daß sich dieses Land in Richtung Kapitalismus bewegt.
Dieter: China muß, das halte ich für unbedingt notwendig, mit ganz starkem Zentralismus und mit zentralstaatlichem Machtmonopol Stabilität und Einheit sichern. Das muß nicht mit Demokratisierung und Reform im Widerspruch stehen.
Ursula: Dieser Zentralismus ist die große Chance in einem Land der Dritten Welt, sich überhaupt zu entwickeln, zum Beispiel im Gesundheitssystem. Es geht kein Mensch freiwillig als Arzt aufs Land, wenn nicht jemand sagt: Du mußt, im Interesse des Landes, für drei oder fünf Jahre. Das ist furchtbar für unser Denken. Aber China hatte keine andere Chance. Das ist objektiv notwendig, aber es ist schwierig in einem Land, in dem die Familie eine so ungeheuer große Rolle spielt, bis zur materiellen Absicherung, bis hin zur Verheiratung. Selbst wenn junge Leute in Großstädten versetzt wurden, von Shanghai nach Peking, haben sie geheult. Das ist eine ganz ganz schwierige Sache, aber ich denke, die Partei hat Recht. Selbst wenn sie es im Kopf einsehen, daß es für das Land richtig ist, ist es unglaublich schwer einzusehen, weil ihnen soviel weggenommen wird.
Fragen: Hoetzel & Wolschner
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