: 50 Todesopfer bei Pogrom in Usbekistan
■ Parteichef der Sowjetrepublik berichtet vor dem Obersten Sowjet in Moskau von den Unruhen / Innenminister Bakatin läßt die 6.000 Mann starken Sondertruppen im Gebiet noch verstärken / Mescheten wurden zum Schutz vor Übergriffen in Kasernen evakuiert
Moskau (ap/afp/dpa) - Bei den nationalen Unruhen in Usbekistan, an denen sich mehrere tausend Menschen beteiligt haben sollen, sind in den letzten Tagen insgesamt 50 Menschen ums Leben gekommen. Dies sagte am Dienstag nachmittag der Parteichef von Usbekistan Rafik Nischanow vor der Nationalitätenkammer des Obersten Sowjets in Moskau. Nischanow war am Montag selbst in das Unruhegebiet von Fergana gereist. Nach den Worten Nischanows hatten bewaffnete Jugendliche seit vergangenem Samstag die Wohnviertel türkischstämmiger Mescheten angegriffen, Häuser angezündet und auf die Menschen eingeschlagen. Die örtlichen Behörden hätten die Kontrolle verloren. Die Banden seien mit Äxten, Ketten und Schlagstöcken bewaffnet gewesen und hätten unter Alkohol- und Drogeneinfluß gestanden. „Dabei sind 50 Menschen getötet worden.“ Am Sonntag wurden Truppen der Miliz und des sowjetischen Innenministeriums eingesetzt und eine Sperrstunde ausgerufen. Die Mescheten seien zum Teil in Kasernen evakuiert worden und befänden sich nun außer Gefahr, fügte Nischanow hinzu.
Die amtliche sowjetische Nachrichtenagentur 'Tass‘ meldete am Dienstag nachmittag, die Lage in Usbekistan normalisiere sich. Mehr als 6.000 Mann starke Truppen der Miliz und des Innenministeriums seien im Unruhegebiet zusammengezogen. Zusätzliche Einheiten der dem Innenministerium unterstehenden Sondertruppen und der Miliz sollen nach Ankündigung des Innenministers noch nach Usbekistan eingeflogen werden. 200 Personen seien festgenommen worden, weil sie im Verdacht stünden, die Unruhen organisiert und sich an ihnen beteiligt zu haben. Der sowjetische Innenminister Wadim Bakatin machte in der Parteizeitung 'Prawda‘ am Dienstag Extremisten für das Pogrom verantwortlich. Die Drahtzieher seien „Kräfte, die die Lage in der Region destabilisieren wollen und die Perestroika zu einem Zeitpunkt behindern, da der Kongreß der Volksdeputierten tagt“.
Nach den Worten Nischanows haben die Spannungen in Usbekistan in den vergangenen Jahren zugenommen, seit die Mescheten fordern, in ihre Heimat zurückkehren zu dürfen. Die Mescheten wurden 1944 unter Stalin gewaltsam aus ihrer Heimat in Georgien an der sowjetisch-türkischen Grenze vertrieben. 60.000 leben laut Nischanow in Usbekistan.
In der Stadt Margelan haben sich mehrere Parteifunktionäre hinter einem Schutzwall von Sicherheitskräften in ihr Bürogebäude geflüchtet, anstatt mit den aufgebrachten Demonstranten zu reden, berichtete das Fernsehen am Montag abend. Michail Gorbatschow verlas am Montag abend einen Appell des in Moskau tagenden Kongresses der Volksdeputierten an alle Beteiligten, der Stimme der Vernunft zu folgen. Sie seien aufgerufen, kein weiteres Blutvergießen zuzulassen.
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