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Provinzen werden unruhig

Es war eine düstere Vorhersagung, vor einigen Tagen in Peking: „Erst wenn der Tiananmen mit unserem Blut getränkt ist, werden die Leute im ganzen Land aufwachen.“ Der Studentenführer sollte - leider - recht behalten. Chinas Provinz ist in Unruhe geraten, wenn auch noch nicht in Aufruhr.

Die Zahl der Demonstrierenden nach dem Blutbad vom Sonntag ist sehr viel geringer als in den ersten Tagen nach Erklärung des Kriegsrechts. Es wird jedoch vermutet, daß sich die Proteste ausweiten, denn unter den ermordeten Studenten in Peking waren viele aus den Provinzen. Noch hoffen zahlreiche Familien, daß ihre Kinder heil aus Peking zurückkehren werden. Wenn sie erst die Nachricht vom Tod ihrer Töchter und Söhne bekommen, werden sie, so heißt es, nicht ruhig zu Hause sitzen bleiben. In Schanghai, der traditionell rebellischen Stadt, wo schon 1986 die stärksten Studentenproteste stattfanden, streikten am Montag 60 Prozent der Arbeiter, um gegen die Regierungsmassaker in der Hauptstadt zu protestieren. Die Erinnerung an das Massaker an tausenden von Arbeitern durch Tschiang-Kaitschek 1927 ist in der Schanghai noch lebendig. Die Wirtschaft in Chinas reichster Stadt wurde zum Erliegen gebracht. Auch gestern kam es zu Demonstrationen vor dem Sitz der Provinzregierung.

In Schanghai ist der Protest am besten organisiert, obwohl viele Studenten am Freitag zum Ende des Wintersemesters nach Hause in die Provinz gefahren waren. Lastwagen, Busse und Telegrafenmasten wurden auf die zentralen Kreuzungen geschleppt und zu Barrikaden aufgetürmt, um den Arbeitern eine Entschuldigung dafür zu liefern, nicht zur Arbeit zu erscheinen. An den Barrikaden hängen Wandzeitungen: „Auf zum Generalstreik!“ oder „Blut wird Blut hervorbringen“. Es kam zu Panikkäufen von Reis, Öl und anderen Lebensmitteln.

Bisher wurden noch keine Truppen in Schanghai gesichtet, aber nach Informationen des örtlichen US-Konsulats hat die Stadtregierung mit „strengen Maßnahmen“ gedroht, falls die Straßen nicht geräumt würden. Die ausländischen Vertretungen wurden inzwischen aufgefordert, ihre Landsleute von der Innenstadt und den Universitäten fernzuhalten.

Ausländische Reisende berichten, daß Hefdei, die Hauptstadt von Chinas nördlicher Anhui-Provinz, sich vollständig in den Händen der Demonstranten befinde. Weder Polizei noch Armeekräfte seien in der Stadt zu sehen gewesen. Auch in Kanton, in der Hongkong benachbarten Provinz Guangdong, demonstrierten Zehntausende von Menschen unbehelligt.

In Deng Xiaopings Heimatstadt Chengdu, der Hauptstadt von Sichuan, wurden Regierungsfahrzeuge umgeworfen. Soldaten zerschlugen eine Demonstration von 10.000 Arbeitern. Es soll zu mehreren hundert Toten gekommen sein, berichtete das Fernsehen in Hongkong. In Hangzhou blockierten Arbeiter mit Bussen Eisenbahngeleise.

Auch aus Wuhan, Changsha, Nanjing, Xian und Lanzhou werden Unruhen gemeldet.

wps/smo

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