: Vergewaltigungsopfer hoffen auf Berufung
Ute und Melanie Loh aus Berlin, die im März ihren Vergewaltiger töteten und deshalb wegen Totschlags verurteilt wurden, warten auf die Berufungsverhandlung / Anwältin ist optimistisch / Ein TouristInnenboykott würde den beiden nicht gewiß nicht helfen ■ Aus Nikosia Klaus Hillenbrand
Wenn die Mittagssonne die Temperaturen in der zypriotischen Hauptstadt Nikosia auf 35 Grad im Schatten treibt, verziehen sich die TouristInnen in schattige Straßencafes oder auf klimatisierte Hotelzimmer. Die einheimischen klappen die Fensterläden zu, lassen die eisernen Rolläden herunter und schlafen, bis der Nachmittag eine sanfte Brise bingt.
Ute und Melanie Loh haben keine Klimaanlage in ihrer Zelle. Seit bald drei Monaten sind sie im Zentralgefängnis des türkisch besetzten Teils Zyperns inhaftiert - verurteilt zu drei bzw. vier Jahren Haft, wegen Totschlags, weil sei den Vergewaltiger von Melanie, den türkischen Zyprioten Özmen Tulga, getötet haben. Die Angeklagten handelten aus Rachsucht, so die Begründung des Urteilsspruchs im Mai in Famagusta.
„Es war eindeutig Notwehr“, meint dagegen Sefika Durburan, die Anwältin der Frauen. „Es ging nicht nur um Vergewaltigung. Tulga wollte beide umbringen.“ Im Namen ihrer Mandantinnen hat Sefika Durburan Berufung gegen das Urteil eingelegt. Sie hofft, daß der Supreme Court in Nikosia, das oberste Gericht in Türkisch-Zypern, noch vor der Sommerpause ab Juli den Fall behandeln wird. Nach angelsächsischem Recht wird es keine neuen Zeugenvernehmungen mehr geben, allein das in Famagusta gefällte Urteil wird von der höheren Instanz überprüft. Sefika Durburan ist optimistisch, daß das diesmal anders ausfallen wird.
„Sex-Party oder Vergewaltigung?“: Solche und ähnliche Schlagzeilen in der bundesdeutschen Boulevardpresse wurden von Zypern-türkischen Zeitungen begierig nachgedruckt. „Den Frauen ist damit noch einmal sehr viel angetan worden“, sagt Sefika Durburan. „Die Zypern-türkische Öffentlichkeit wurde negativ beeinflußt.“ Sie will nicht ausschließen, daß auch das Gericht in Famagusta von den Geschichten über Drogenparties und eine angeblich auf den Liebhaber ihrer Tochter eifersüchtigen Mutter in der Boulevardpresse beeinflußt war.
Viele Zypern-Türken glauben bis heute mehr den Fantasiestories der 'Bild'-Zeitung als der schrecklichen Wahrheit: Melanie wurde am Strand von Yeni Erenkoey zweimal vergewaltigt, die Mutter von Tulga bewußtlos geschlagen. In dem Kampf auf Leben und Tod, der aufkam, nachdem die Mutter aus ihrer Bewußtlosigkeit wieder erwachte, erdrosselten die Frauen den Vergewaltiger mit einem Stoffgürtel und glaubten danach, um Hilfe rufend, der Mann könne noch gerettet werden.
Jede Woche gehen für Ute und Melanie Loh fünf bis sechs Briefe bei der deutschen Botschaft im griechischen Teil von Nikosia ein. Auch Schreiben an die Vertretung, in denen gefordert wird, mit allen Mitteln für die Verurteilten einzustehen, hat Dr.Moser erhalten. Doch viel kann er in der (südlichen) Republik Zypern nicht tun.
Weil der 1974 von türkischen Truppen besetzte Nordteil der Insel weder von der Bundesrepublik noch von einem anderen Staat außer der Türkei diplomatisch anerkannt ist, gibt es auch keine offiziellen Beziehungen zur „Türkischen Republik Nordzypern“, ergo auch kein Rechtshilfeabkommen. Die Botschaft hat eine Beobachterin zum Prozeß geschickt und war bei der Auswahl der beiden Rechtsanwälte behilflich. Sie leitet die an Ute und Melanie Loh eingehenden Briefe ins Gefängnis weiter.
Sefika Durburan besucht die gefangenen Frauen regelmäßig. Es gibt keine Besuchseinschränkungen. In dem Flachbau dürfen sich Ute und Melanie Loh frei bewegen, auch den Hof jederzeit betreten. Die Zelle wird nicht abgeschlossen. „Sie sind ungebrochen. Es geht ihnen, so gut es in einem Gefängnis eben gehen kann.“
Kontakte zur Presse lehnen beide Frauen ab - kein Wunder nach den Berichten. Als „grauenhaft“ empfindet Nitsa Neophytou vom Presse- und Informationsamt der Republik Zypern die Berichte in der bundesdeutschen Boulevardpresse. Frau Neophytou wertet die Presseberichte über die Insel aus. „So etwas“ hätte sie sich von deutschen Zeitungen nicht vorstellen können. Weil die meisten Berichte nicht zwischen Süd- und Nordzypern unterscheiden, geht hier wie dort die Furcht um: Bleiben jetzt die TouristInnen weg?
Von einem organisierten Tourismusboykott hält Anwältin Durburan nichts. „So etwas würde den Inhaftierten ganz gewiß nicht helfen.“ Im Gegenteil: „Die Öffentlichkeit würde negativ beeinflußt.“ Kann man in Nordzypern überhaupt noch Urlaub machen, fragen Frauen brieflich die deutsche Botschaft in Nikosia. Doch Nordzypern ist für Touristinnen nicht gefährlicher als die Türkei, Griechenland oder andere Staaten am Mittelmeer - oder eben genauso gefährlich. Vor ein paar Tagen konnte in Famagusta, nur wenige Kilometer von dem Gerichtsgebäude entfernt, in dem Ute und Melanie Loh verurteilt wurden, die Vergewaltigung einer deutschen Urlauberin gerade noch verhindert werden. Der Mann wurde durch ein zufällig vorbeifahrendes Auto „gestört“.
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