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"...nicht Kopf und Augen zuschmieren"

■ Wim Wenders über Sex, Gewalt und Politik im Film

Zum Abschluß seiner Wim-Wenders-Retrospektive bringt der ARD-Kulturkanal Eins Plus ein aktuelles Gespräch mit dem renommierten Männerseelentröster und mehrfachen Filmpreisträger, der es in diesem Jahr gar zum Jury -Präsidenten der Filmfestspiele in Cannes brachte. Zuvor gibt es als letzten Beitrag in der Wenders-Werkschau-Reihe den 1984 entstandenen Film Paris, Texas. Das melodramatische Road-Movie mit Nastassja Kinski und Harry Dean Stanton in den Hauptrollen gehört zu den höchstdekorierten deutschen Filmen der letzten Jahre. In Cannes kassierte Wenders dafür seinerzeit die Goldene Palme.

Mir war die Love-Story zu kitschig. Wenders und die Frauen, das wäre ein Kapitel für sich. Jedenfalls ist Nastis triefender Monolog in der Peep-Show einfach unerträglich.

Anschließend um 22.35 Uhr dann das Gespräch mit dem Meister persönlich. Peter W.Jansen befragte Wim Wenders zu dessen Kinoverständnis, seinen Krisen und den Perspektiven. Im folgenden dokumentieren wir Auszüge aus dem InterviewRed.

„Filme sind sowohl immer über das, wovon sie handeln, als auch über das, wovon sie nicht handeln. Die Abwesenheit in einem Film ist auch immer gleich das Thema des Films. In meinen Filmen kommen weder Gewalt vor noch - wirst du auch gesehen haben - Sex, weil ich finde, daß beides Dinge sind, mit denen man zu viel Gewalt antut und mit denen man zu viel Schaden anrichten kann. Ich möchte eigentlich nur etwas zeigen, was ich mag. Ich mag nichts zeigen und dann sagen, das ist etwas, was ich verabscheue. Der Akt des Filmemachens, was man auf die Leinwand bringt, denke ich, damit identifiziert man sich auch. Deswegen funktioniert ja Propaganda. Weil in dem Moment, wo die Leute dasitzen und es ist was auf der großen Leinwand, entsteht automatisch eine Art von Identifizierung. Man kann sich nicht distanzieren von dem, was man zeigt. Tendenziell ist das, was man filmt, immer das, was man will, Ausdruck, wozu man steht. Das heißt, jeder Akt von Gewalt, gerade in amerikanischen Filmen, die dann so tun, als seien sie dagegen, oder auch Kriegsfilme, die nur so tun, sie sind dagegen... eigentlich ist jeder Kriegsfilm ein Film für den Krieg. Und jeder Film, in dem Gewalt vorkommt, ist ein Film für Gewalt. Politik, denke ich mir, die wichtigste Politik ist die, die man mit den Augen macht. Das heißt: Das, was man den Leuten, den Menschen Tag für Tag zeigt, ist politisch. Die politischen Inhalte selbst sind eigentlich für mich im Kino das am wenigsten Politische. Das höchste Politische ist Entertainment. Das Allerpolitischste, was man Menschen, indem man es ihnen jeden Tag zeigt, einbläuen kann, ist: es gibt keine Veränderung. Indem man ihnen etwas zeigt, was offen ist für Veränderung, erhält man die Idee von Veränderung. Und das ist für mich der einzige politische Akt, zu dem Kino fähig ist: die Idee von Veränderung wachzuhalten. Nicht, indem es zu Veränderung aufruft. Da erreicht man sehr wenig, finde ich. Vielleicht manchmal. Vielleicht muß man es auch manchmal machen: zu Veränderung direkt aufrufen. Aber der eigentliche politische Akt, zu dem Kino fähig ist, ist, Veränderung latent möglich zu machen, indem man den Leuten nicht den Kopf zuschmiert und nicht die Augen zuschmiert.“

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