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SUCHTVERHALTEN

 ■  Der Kampf gegen Videorecorder

Die Videosucht raubt uns unsere Jugendlichen und Kinder“ mit drastischen Worten beschrieb Baden-Württembergs Innenminister vergangene Woche auf einer Pressekonferenz die Lage, die er auf einer Informationsreise in Fernost sondiert hatte. Die dortige Überproduktion an TV-Geräten, die die Preise auf dem internationalen Markt drücke, würde alsbald Europa und vor allem die finanzkräftige Bundesrepublik überschwemmen. Schon jetzt seien die ehedem horrenden Preise für Qualitätsware deutlich gefallen, und um neue Märkte zu erobern, schreckten die Produzenten auch vor Dumping-Preisen nicht zurück. Vor allem weil in ihren Heimatländern verschärfte Kontrollen und horrende Strafsteuern auf die Gewinne drückten. Was dies vor allem in Hinsicht auf 1992, die fallenden Grenzen in Europa, bedeute, könne sich jeder ausmalen: unkontrolliert und frei kursierende Recorder, Portabels, Kasetten...

Der Minister war natürlich nicht in Fernost, um sich die japanische und koreanische Video- und TV-Fabrikation anzuschauen. Er war auf Dienstreise in den USA, hat sich über das Drogenproblem informiert und eine „Überproduktion“ von Kokain in Süd- und Mittelamerika festgestellt. Die verschärften Gesetze und Vermögensbeschlagnahmung ertappter Drogenhändler in den USA habe die Produzenten jetzt ein Auge auf Europa werfen lassen, vor allem auf die reiche Bundesrepublik, der demnächst schneesturmartige Mengen billigen Qualitäts-Rauschgifts ins Haus stünden. Dieser Gefahr könne, zumal angesichts eines demnächst grenzenlosen Europa, nur mit verschärften Kontrollen und neuen Gesetzen, etwa der Beschlagnahme von Dealer-Vermögen, begegnet werden.

So sehr die Forderung eines derart hemmungslosen Zugriffs der Justiz zum Nachdenken reizt - man stelle sich nur die Menge beschlagnahmter Vermögen aus dem letzten Flick-Prozeß vor - so wenig verdiente die Drogen-PR des schwäbischen Regional-Darstellers Erwähnung (schon Gauweiler selig hatte empfohlen, erwischte Dealer bis aufs Auto auszurauben und die Fahrzeuge der Drogenfahndung zur Verfügung zu stellen), hätte sich nicht Bundesminister Schäuble in dieser Woche ebenfalls zu Thema gemeldet: Angesichts doppelt sovieler Drogentoter wie im Vorjahreszeitraum nannte er in der 'Bunten‘ die Situation „sehr besorgniserregend“, der Kampf gegen das Rauschgift müsse „auf allen Ebenen international verschärft“ werden. Auch hier also wieder einer, und unseligerweise in verantwortlicher Position, mit einem Videorecorder vorm Kopf: Seit 60 Jahren, seit der internationalen Opium-Konferenz, versuchen die Staaten den Drogenkonsum auszurotten, indem sie den Markt auf der Angebotsseite bekämpfen, die Nachfrage ist aber seitdem stetig gestiegen - nie wurden mehr (legale und illegale) Drogen konsumiert als heute, aber nie wurde auch mehr Aufwand für ihre Bekämpfung getrieben. Eine absurde Schere, die immer weiter auseinandergeht, und doch weigern sich die hehren Drogenkämpfer, die Sinnlosigkeit ihres Kriegs auch nur zu sehen - es wird „international verschärft“ weiter gefahndet, verhaftet, bestraft.

Forderungen, wie sie in diesen Tagen aus den Reihen der „Gewerkschaft der Polizei“ und der FDP laut wurden - nämlich das Drogenproblem wieder dahin zu bringen, wo es seinen Ausgangspunkt nahm: in die Apotheken -, sind nur ein kleiner Lichblick, es dominiert die grassierende Dummheit und der geistige Tiefflug. Zwei Chef-Piloten, Bayerns Innenminister Stoiber und CSU-Sekretär Huber, haben es so ausgedrückt: Die Legalisierung des Drogenkonsums sei dasselbe wie der Versuch, den Diebstahl dadurch zu bekämpfen, daß man den Schutz des Eigentums aufhebe. Ein Ende des staatlichen Suchtverhaltens, den Krieg wider besseres Wissen fortzuführen, ist nicht abzusehen...

Mathias Bröckers

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