: Mit starrem Blick auf das eigene Kind
■ Therapie für ungewollt kinderlose Frauen: Loslassen und die Weigerung des Körpers, schwanger zu werden, ernst nehmen / Betroffene geben den skandalösen Einsatz der Reproduktionsmedizin zu Protokoll / Eine Rezension
Ein unspektakuläres, aber außerordentlich spannend und flüssig zu lesendes Buch, das ich in einem Rutsch verschlungen habe und dem ich viele Leserinnen und Leser wünsche!
Kinderlose Frauen berichten von ihren Kämpfen und Verzweiflungen, ein Kind zu bekommen. Ihnen gemeinsam ist, daß sie irgendwann den Mut und die Kraft aufbrachten, an einer psychotherapeutischen Gruppe teilzunehmen, die sich diesem Thema des unerfüllten Kinderwunsches widmete. Die Autorin Sabine Ulmer-Otto, Psychotherapeutin in Berlin, bot diese Gruppe an und verfolgte die Entwicklung der teilnehmenden Frauen über mehrere Jahre. Für ihr Buch führte sie dann intensive Einzelgespräche mit den Betroffenen und ergänzte sie schließlich durch Nachgespräche ein, zwei Jahre später.
Herausgekommen sind sieben lebendige, ja geradezu aufregend zu lesende Protokolle von Frauen, in denen diese erzählen. Am eindrücklichsten dabei vielleicht das Phänomen der zunehmenden Fixierung auf den Kinderwunsch, je länger die (erfolglose) Behandlung währt. Nach dem oft Jahre währenden „Probieren“, dem Geschlechtsverkehr quasi mit Fieberthermometer und Monatskalender in der Hand, der Hormonbehandlung, dem Eileiterdurchpusten etc. kommt in der Regel als letzter Ausweg die medizinisch-technische Version der künstlichen Befruchtungsarten zum Zuge. Damit wird die Tortur für die Frau perfekt (aber auch der Mann bleibt nicht ungeschoren). Je länger diese unzumutbaren „Behandlungen“ dauern (aber eben auch: erduldet werden), um so zwanghafter setzt sich offensichtlich der Wunsch nach dem eigenen Kind fest. Mir scheint, daß dabei die Erfüllung des Wunsches nicht mehr allein dem Kind gilt, sondern ebenso der Wiedergutmachung für die erlittene Qual: es darf nicht alles vergeblich gewesen sein.
Die Frauen berichten fast durchweg von dieser sich steigernden Fixierung auf den Kinderwunsch, sie erzählen von den konkreten körperlich-seelischen Torturen künstlicher Befruchtungsversuche (ohne Erfolg!), von den Jahren der Verzweiflung und des Selbstzweifels, keine vollwertige Frau zu sein... und über die in der therapeutischen Gruppe allmählich entstehende neue Kraft und Befähigung zum Loslassen: Je hartnäckiger der Wunsch nach einer Schwangerschaft (dem funktionierenden Körper) und einem eigenen Kind sich festsetzt, je deutlicher er zum alles beherrschenden Zwang wird, um so mehr geht verloren - die Freude am Körper, an der Sexualität, der Paarbeziehung, dem Leben; und um so verkrampfter reagiert nun seinerseits der physisch und psychisch malträtierte Körper. Etliche Frauen werden schwanger, nachdem sie aus diesem Teufelskreis herausgefunden und sich eine neue Lebensperspektive eröffnet haben (Kinderlosigkeit oder Adoption).
In ihrer Einleitung führt Sabine Ulmer-Otto leichtverständlich und klar in den therapeutischen Prozeß ein, der darauf setzt, die „Logik“ des Körpers ernst- und anzunehmen. Der sich gegen Schwangerschaft und Kind immer wieder sträubende Körper, so eine therapeutische Einsicht, signalisiert Probleme: Ist die Entscheidung für ein Kind wirklich eine gute, eine richtige, das heißt ichgerechte und paargerechte Entscheidung? Ist der starke Wunsch nach einem eigenen Kind ein freier Wunsch? Oder geht es mehr um den Nachweis der eigenen weiblichen Potenzen (Mutter sein können)?
Die Selbstreflexionen der Frauen machen deutlich, wie stark in die Problematik der Unfruchtbarkeit und der Fixierung auf ein Kind die Beziehung zur je eigenen Mutter hineinspielt. Durchweg haben die Frauen konflikthafte, leidvolle Mutter -Tochter-Beziehungen, tragen Mutterbilder in sich, die eine eigene Mutterschaft zumindest in der Phantasie erschweren oder gefährden. Eine nicht-tröstende, verständnislose, harte (kastrierende) Mutter läßt wenig Raum für ein freundliches Mutterbild, nach dem sich's leben ließe... Was in den theoretischen Büchern zum Mutter-Tochter-Verhältnis oft spröde und langatmig dargestellt wird, wird hier in den Protokollen der Frauen lebendig und dicht erzählt. Die Frauen berichten aus eigener Sicht ihre Erfahrungen und deren Verarbeitung, und die einführenden Gedanken der Therapeutin schärfen den Blick beim Lesen der Protokolle noch einmal.
Aus der Perspektive kritischer Frauenforschung ist, wie ich finde, besonders zu begrüßen, daß die Protokolle in schonungsloser Konkretheit den skandalösen Einsatz der Reproduktionsmedizin an den Frauen vorführen - und zwar aus deren eigener Sicht. Trotz minimaler Erfolgschancen bei der künstlichen Befruchtung (ca. 2,7 Prozent) lassen sich ja mittlerweile immer mehr Frauen über lange Zeiträume hinweg auf diese Zerstörungsarbeit am weiblichen Körper und der (Paar-)Sexualität ein, und oft verschieben sich dabei Ursache und Wirkung: Häufig entwickelt sich der oben benannte zwanghafte Kinderwunsch parallel zu den Heils- und Machbarkeitsmythen, die die Reproduktionsmediziner suggerieren. Das Kind als Phantasma technischer Reproduzierbarkeit.
Das Buch ist vom Kreuz Verlag liebevoll gestaltet. Immer wieder habe ich beim Lesen den schönen Umschlagentwurf betrachten müssen: Eine Buntstiftzeichnung, von kräftigen Grüntönen dominiert, zeigt ein junges Paar, das sich mutlos-resigniert? - von einer heftig durchgestrichenen Kinderwiege abwendet. Sie wenden sich ab, nun gut, aber wohin gehen sie?
Eva Koch-Klenske
Sabine Ulmer-Otto, Die leere Wiege. Unfruchtbarkeit und ihre seelische Verarbeitung, 156 S., Kreuz Verlag Zürich, 1989
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