: Liturgisch-kulinarisches Eröffnungsfestival
In Berlin wurde der 23.Evangelische Kirchentag mit einem Freilichtgottesdienst in der Innenstadt eröffnet / 250.000 BesucherInnen zwischen Ku'damm und KaDeWe / Kirchliche Inhalte eher am Rande / Berliner City endlich autofrei ■ Aus Berlin Frauke Langguth
„Ich versteh‘ nix“, sagt Arne und nimmt einen Schluck aus der Bierdose. Von dem Eröffnungsgottesdienst des 23.Kirchentags kommen hier hinter der Gedächtniskirche nur Satzfetzen an. Von „Beteiligung“ und „Mitverantwortung“ ist die Rede, von der „heilsamen Unruhe des Kirchentags“. Arne und seine Freunde, 16, 17 Jahre alt, haben es sich auf dem nackten Steinboden bequem gemacht. Statt Gottesdienst ist Berlin-Erkundung angesagt. Stadtpläne werden entfaltet, die Kirchentagsprogramme studiert. „Entscheidend ist nicht die Vielzahl der Veranstaltungen, die einer besucht“, heißt es gerade in der Predigt. Während ein Kirchenlied angestimmt wird, bahnt sich ein Krankenwagen langsam seinen Weg durch die Menge. Sein „Lalülala“ mischt sich in das „Halleluja“ der GottesdienstbesucherInnen.
Wo sich sonst Autokolonnen durch die Innenstadt schieben, drängen sich nun die Menschenmassen: Berlins sogenannte Prachtmeile hat sich in eine gigantische Fußgängerzone verwandelt. 250.000 Menschen hatten die Veranstalter zu diesem „Abend der Begegnung“ erwartet. Ein Jahr lang wurde das Großereignis vorbereitet, die BerlinerInnen schon seit Tagen vorgewarnt. „Ab 13 Uhr wird abgeschleppt“, drohte die Polizei. Und was man sich vorher mit Schrecken oder Vorfreude ausmalen konnte, ist nun Realität. Hundertausende flanieren auf dem Kurfürstendamm auf und ab. Auf dem grünen Mittelstreifen, den sonst nie ein Fuß betritt, sitzen die KirchentagsbesucherInnen in Gruppen, trinken Bier und löffeln Kartoffeleintopf aus Plastikschüsseln. „Ich find‘ des escht gut, kann da hier uff de Straß‘ hogge und die Leut‘ agugge“, kommentiert eine Frau. Der Bläserchor 50 Meter den Ku'damm hinauf hat keine Chance gegen die jetzt einsetzende Rockband eine Straßenecke weiter.
„Moinsch, einmal im Leben fährt man nach Berlin und hier trifft man sich“, fallen sich zwei Frauen in die Arme. Immer wieder kommt es zu Begrüßungsszenen: „Du hier?“. „Ich bin da, du bis da, schubidubidubi, schubidubida“, singt die Menge, die der Gruppe „Revelation“ lauscht und schüttelt wie beim Ententanz die Hände.
Nur mäßigen Applaus gibt es dagegen für die Berliner SenatorInnen, die sich auf den einzelnen Podien der Öffentlichkeit vorstellen. Während Kultursenatorin Anke Martiny den Kirchentagsgästen Nachhilfe in Berlin-Geographie erteilt („Manche Bezirke sind ja ganz schön groß. Hinter Neukölln mit 300.000 Einwohnern kann sich Bielefeld verstecken“), werden die Schlangen vor Wurstständen, Toilettenhäuschen und Telefonzellen immer länger. „Mutti, ich bin auf dem Ku'damm“, wird den Daheimgebliebenen mitgeteilt, während die Groschen nur so durchrasseln.
„Ich bin etwas enttäuscht von dem Angebot“, sagt Andrea aus Würzburg. Sie hätte sich mehr „Inhaltliches“ für diesen „Abend der Begegnung“ gewünscht. „Aber das Wetter ist zum ersten Mal gut“, sagt sie als erfahrene Kirchentagsteilnehmerin. Das Angebot erstreckt sich in der Tat vornehmlich auf Kulinarisches und die üblichen Kirchentagssouvenirs. Emaillierte Tauben, Friedens- und Frauenzeichen, lila Tücher, Anstecker und Aufkleber. Die offiziellen „Kirchentagsshops“ bieten daneben noch Kirchentags-T-Shirts mit dem türkis-lila Wellenkreuz, dem Symbol des Berliner Kirchentags, Kirchentagsschallplatten, -kissen und -handtücher. Begehrt sind auch Sondermarken und Ersttagsbriefe. „Was nimmst du denn so viele?“, fragt eine Frau ihre Bekannte. „Einen für die Schwiegermutter, einen für Karl und einen für Rosi“, wird der Kauf begründet. Gegessen wird politisch- und umweltbewußt: Vollkornreis, Gemüsebuletten, Nicaragua-Banananen und „Rainburger“ gegen die Vernichtung des Regenwalds - McDonalds und BurgerKing bleiben links liegen. Die Gemeinde Meppen/Ems bietet frischgeräucherte Makrelen, Wahlheim aus Hessen „Worschtbrote“ aus Hausschlachtung, die Christlichen Pfadfinder Vollkornbrötchen, Terre des Hommes Schmalzstullen. Bald zieren überquellende Abfalleimer und kleine Müllhäufchen die Straßenränder.
„Wo kommen Sie her? How long are you staying?“ parliert Berlins Regierender Bürgermeister Walter Momper, der sich mit seiner Frau Anne in die Menge gestürzt hat. „Kieck mal, unser Walter gibt Autogramme“, meldet sich der Berliner Lokalpatriotismus. Mit Schwung signiert der Regierende Kirchentagsausweise und Dauerkarten. „Die Ökumene ist mir ein Anliegen“, hatte sein Vorgänger Eberhard Diepgen kurz zuvor auf dem Podium bekannt. „So was wie Ausstrahlung haben die beide nicht“, sagt ein junger Vater zu seiner Frau. Berliner hört man im dem babylonischen Sprachgewirr deutscher Dialekte an diesem Abend allerdings kaum. Obwohl eine Jazzkapelle die Menschenmassen mit dem sinnigen Refrain „Drückt euch nicht vor dem Gedränge“ erfreut, scheint es, als hätten die BerlinerInnen den Ku'damm ohne Widerstand für die KirchentagsteilnehmerInnen geräumt.
Um 22 Uhr 30 ist das Straßenfest vorbei. Vor den U -Bahneingängen drängen sich die Menschentrauben. Auf dem Wittenbergplatz hat sich ein Kreis singender Menschen gebildet. „Schenk uns Deinen Frieden“, singen sie im Scheinwerferlicht des angestrahlten „Kaufhaus des Westens“. Für einen Moment noch ist es still in der autofreien Stadt, doch in der Ferne sieht man schon die flackernden orangenen Lichter der Straßenreinigung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen