: Ein Prozeß, der auf den Wecker geht
■ Heute fällt die Staatsschutzkammer des Düsseldorfer Oberlandesgerichts das Urteil gegen Ingrid Strobl / Von Gitti Hentschel
Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft ist die 37jährige Journalistin und Feministin Ingrid Strobl überführt, einen Wecker für einen Anschlag der Revolutionären Zellen gekauft zu haben. Sie fordert sieben Jahre Gefängnis und Führungsaufsicht wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag. Die Verteidigung fordert Freispruch. Kaum ein anderer Prozeß, bei dem es um die Beteiligung an einer „terroristischen Vereinigung“ gemäß Paragraph 129a ging, hat in den letzten Jahren soviel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregt.
„Ich bekenne mich schuldig, eine radikale linke und feministische Gesinnung zu hegen und diese nicht ablegen zu können und zu wollen, schuldig, die Ausbeutung und Erniedrigung der Frauen in der Welt als sexuelles Handelsobjekt nicht hinnehmen zu können, schuldig, die kalte Amnestie für NS-Verbrecher und deren tragende Rolle bei der Etablierung des Staates Bundesrepublik nicht hinnehmen zu können..., weder den latenten noch den akuten Rassismus, weder den latenten noch akuten den Antisemitismus in dieser Gesellschaft hinnehmen zu können.“ Mit Tränen in den Augen bekennt sich die Angeklagte Ingrid Strobl am Ende ihres kaum halbstündigen Schlußwortes außerdem für „schuldig“, die Entmündigung und Entwürdigung von Menschen, die Erniedrigung und Ausbeutung von Frauen „qua Geschlecht“ nicht dulden zu können und „Feministin, Internationalistin und Antifaschistin zu sein in einer Gesellschaft, die NS -Verbrecher, Sklavinnenhändler und Ausländer-Raus-Politiker von jeder Schuld freispricht“.
Ingrid Strobl nutzte ihr Schlußwort zu einer Anklage gegen eine Gesellschaft, die mit zweierlei Maß mißt. Eine Gesellschaft, die zum Beispiel eine junge Frau ins Gefängnis schickt, weil sie für ihren neuen Freund drei Kilogramm Haschisch besorgt, der sich dann als V-Mann des Verfassungsschutzes entpuppt, während sie einen Nazi-Mörder wie den SS-Obersturmführer Höcker frei herumlaufen läßt. Er hatte, so Ingrid Strobl, „nachweislich an der Vergasung von 60 Frauen und Kindern mitgewirkt und wurde dafür zu ganzen vier Jahren Gefängnis verurteilt. Doch nicht einmal davon hat er auch nur einen Tag abgesessen“.
Auch mit der Bundesanwaltschaft (BAW) rechnet die engagierte Feministin ab. Von der Anklage bleibe „nicht einmal die anfangs so siegessichere Behauptung, ich sei Mitglied der Revolutionären Zellen“. Sehr ernst wird sie dagegen bei ihrer Erklärung, warum sie den Namen des Mannes („Mr.X“) nicht nennt, für den sie den Wecker gekauft hat. Dieses Schweigen gelte als „Hauptbelastungspunkt“, als „scheinbar schlagender Beweis für meine Mitwisserschaft“. Es habe jedoch weniger mit „X“ als „vielmehr mit mir selbst“ zu tun, „mit meinem Verständnis von Moral, von Würde, von Stolz“. „Täglich“, so Strobl, „könnte ich darum kämpfen, mich durch die erniedrigenden Bedingungen des Gefängnisses nicht erniedrigen zu lassen. Und nun soll ich mich ausgerechnet unter diesen Bedingungen selbst erniedrigen, indem ich versuche, meine Freiheit auf Kosten eines anderen Menschen zu erfeilschen? Wer kann das von mir verlangen wollen? Wer kann mir das überhaupt zutrauen?“
Der mysteriöse Weckerkauf
Ein Schlußwort, das zumindest bei einem der beisitzenden Richter nicht ohne Wirkung blieb. Sichtlich beeindruckt folgte er ihrem Vortrag. Anders der Vorsitzende Richter Klaus Arend. Wie schon häufig während der vergangenen Prozeßtage droht er den applaudierenden BesucherInnen in rüdem Ton mit Zwangsmaßnahmen.
Fast vier Monate hat dieser Prozeß vor dem 5.Strafsenat, der Staatsschutzkammer des Düsseldorfer Oberlandesgerichts, nun gedauert, an 25 Prozeßtagen wurden mehr als 40 ZeugInnen gehört, stundenlang wurden Erklärungen und Schriften der RZ, zurückreichend bis zum Anfang der siebziger Jahre, vorgelesen, etliche Urteile gegen vermeintliche RZ -Mitglieder oder Unterstützer, außerdem seitenweise Artikel, die Ingrid Strobl im Laufe ihrer journalistischen Tätigkeit, darunter acht Jahre als Redakteurin bei 'Emma‘, verfaßt hat.
Das alles sollte der Klärung der Fragen dienen: Hat Ingrid Strobl im September 1986 in einem Kölner Uhrengeschäft einen mechanischen Miniwecker der Marke „Emes Sonochron“ gekauft, der sechs Wochen später bei einem Anschlag der RZ als Zündverzögerer benutzt wurde? Und wenn, wußte sie von seinem Verwendungszweck? Ingrid Strobl selbst hat schriftlich erklärt, sie habe einen Wecker aus Gefälligkeit für einen Bekannten gekauft, der ebensowenig wie sie, davon sei sie überzeugt, mit dem RZ-Anschlag zu tun habe. Vor Gericht schwieg sie weitgehend zur Sache. Die Anklage behauptet, sie habe den Wecker wissentlich für den RZ-Anschlag gekauft und sei daher Mitglied der „terroristischen Vereinigung“ RZ. Ein Delikt, das nach Paragraph 129a StGB geahndet wird.
Trotz etlicher Verhandlungstage und einem neuerlichen Einstieg in die Beweisaufnahme nach bereits abgeschlossenen Plädoyers der Anklage und der Verteidigung wies die Indizienkette der Bundesanwaltschaft bis zuletzt große Löcher auf. Schlampigkeiten bei der Überwachung des sogenannten „Weckerprogramms“ des Bundeskriminalamtes konnten nicht ausgeräumt werden, die entscheidende Zeugin im Uhrengeschäft Wempe, wo Ingrid Strobl den Wecker, der später bei dem Lufthansa-Anschlag benutzt wurde, gekauft haben soll, mußte zugeben, daß sie anfangs eine andere Frau als Käuferin identifiziert hatte - eine Panne, die das BKA später durch eine gezielte Gegenüberstellung mit Ingrid Strobl auszubügeln versuchte.
Widersprüchliche BKA-Zeugen
Immer wieder verwickelten sich die BKA-Beamten, die in dem Prozeß als Hauptbelastungszeugen auftraten, derart in Widersprüche, daß selbst Richter Arend seine sonst für die Verteidigung reservierten cholerischen Anfälle nicht unterdrücken konnte. Doch selbst wenn Ingrid Strobl den entscheidenden Wecker gekauft hätte, könnte das allein weder ihre Mitgliedschaft noch ihre Unterstützung der RZ beweisen. Das hat sowohl Richter Arend als auch Oberstaatsanwalt Lampe in seinem Plädoyer bekundet. Kontakte der Journalistin zur RZ kann die BAW aber nicht nachweisen. In der Anklage leitet sie die „Mitgliedschaft“ bei den RZ aus der Hypothese ab, die RZ arbeiteten so abgeschottet und „klandestin“, daß nur Mitglieder Tatwerkzeuge beschafften. Der vermeintliche Beweis: Schriften der RZ und bis zu zehn Jahre alte Urteile gegen angebliche RZ-Mitglieder. Eine Beweisführung, die deutlich machte, daß die Ermittlungsbehörden in bezug auf Organisation und Personen der RZ weitgehend im Dunkeln tappen. Daher wohl ihr verzweifeltes Festhalten an Ingrid Strobl als Beschuldigter, der einzigen, gegen die sie in den letzten Jahren eine Anklage erreichten. Die Hamburger Setzerin Ursula Penselin, die im Rahmen derselben Großrazzia von BKA und BAW im Dezember 1987 verhaftet worden war, mußte acht Monate später wieder entlassen werden, gegen vier weitere Personen, nach denen gefahndet wird, hat die BAW nicht mehr als gegen Ursula Penselin und Ingrid Strobl vorzubringen: einen Weckerkauf und Kontakte zu anderen verdächtigen Personen.
Sieben Jahre Haft wegen unkooperativen Verhaltens?
Mit zahlreichen Gegenbeweisanträgen hat die Verteidigung versucht, den Vorwurf, Ingrid Strobl sei Mitglied der RZ, zu erschüttern. Zwar wies das Gericht die meisten Anträge zurück, doch auch seiner Ansicht nach reicht das von der BAW vorgelegte Material nicht für eine Verurteilung wegen Mitgliedschaft aus. Wenn überhaupt, so Richter Arend, käme nur noch eine Verurteilung wegen Unterstützung der RZ in Tateinheit mit Beihilfe zu einem Sprengstoffanschlag in Frage. Da sich das Strafmaß nach der höheren Strafe, dem Sprengstoffanschlag, richtet, bleibt der Strafrahmen dabei weiterhin, so der Richter, sechs Monate bis elf Jahre und drei Monate. Doch auch für den Vorwurf der „Unterstützung“ konnte die BAW keine konkreten Beweise erbringen. Sie argumentierte in ihrem Plädoyer wie zuvor bei der „Mitgliedschaft“ mit der Klandestinität und Abschottung der RZ. Für Rechtsanwältin Lunnebach ein Ausdruck von schierer Unlogik. Denn, so die Anwältin in ihrem Plädoyer: „Ein Unterstützer, der möglicherweise gebeten wird, einen Wecker zu besorgen, was weiß der denn von einem konkreten Anschlag, und wenn er es nicht weiß, wie kann er dann Gehilfe sein? Wenn er es aber weiß, wieso ist er dann nicht Mitglied?“
Zusätzlich stützt die BAW ihre Forderung nach einer siebenjährigen Haftstrafe für Ingrid Strobl auf ihr Verhalten, insbesondere auf ihre Weigerung, „Mr.X“ zu benennen und die Tatsache, daß sie erst acht Monate nach ihrer Inhaftierung eine Aussage gemacht habe. Vorher, hatte Ingrid Strobl dazu erklärt, habe sie keine Akteneinsicht gehabt und auf Anraten ihrer AnwältInnen geschwiegen.
Auch wenn sich die BAW entschieden gegen den Vorwurf der „Gesinnungsjustiz“ verwahrte, bleibt nach ihrem Plädoyer genau dieser Eindruck zurück. Denn obwohl die BAW es nicht für ein „Indiz“ im Sinne der Anklage hielt, will sie doch berücksichtigt wissen, daß Ingrid Strobl sich als Journalistin kritisch mit denselben Themen beschäftigt, zu denen die RZ Anschläge machen: Asyl- und Ausländerpolitik, Sextourismus, Frauenhandel. Entsprechend hatten die RZ ihren Anschlag auf das Kölner Lufthansa-Gebäude, der Hintergrund dieses Verfahrens ist, damit begründet, daß die Lufthansa oder ihre Tochtergesellschaft Condor sich an der Abschiebung von Flüchtlingen beteiligt und Männer in „Bumsbombern“ nach Bangkok oder Manila fliegt. Ein Inhalt, der in diesem Verfahren kein Thema war.
Der Paragraph 129a bestimmte die Prozeßbedingungen
Es dürfte dem Gericht schwerfallen, Ingrid Strobl nach dieser Verhandlung zu verurteilen und sich nicht den Vorwurf der „Gesinnungsjustiz“ einzuhandeln. Die Verteidigung hat systematisch sämtliche Anklagepunkte widerlegt, das Verhalten der Journalistin plausibel erklärt, etwa ihre Weigerung, Mr.X zu benennen. „Gerade vom Standpunkt einer unschuldigen Angeklagten“ sei dies, so Verteidiger Wächtler, „vernünftig“. Sie wäre dadurch nicht freigekommen, sondern es wäre lediglich ein weiterer Mensch inhaftiert worden.
Trotz der dürftigen Beweislage ist der Prozeßausgang für Beobachter völlig ungewiß. Allein die Atmosphäre ist durch die Anklage nach Paragraph 129a bereits entscheidend geprägt. So wird Ingrid Strobl zu jedem Prozeßtag schwer bewacht in einem Gefangenentransporter mit Blaulicht und von einem Hubschrauber begleitet, zum Gericht gefahren, für sie selbst ein „Raubtiertransport“. Der Gerichtssaal: Ein abgesonderter, zu kleiner, fensterloser Saal, bunkerähnlich, in den ProzeßbesucherInnen nur nach Ablichtung ihrer Ausweise und schikanösen Körperkontrollen hineindürfen. Die Verhandlungsführung des Vorsitzenden Richters Arend entspricht diesem Umfeld. Begleitet von cholerischen Ausfällen laviert er das Gericht wenig souverän durch die Verhandlungstage, immer bemüht, diese Mängel durch richterliche Machtdemonstrationen gegenüber der Verteidigung zu kompensieren. Geradezu „erschüttert“ von dieser Verhandlungsführung zeigte sich die österreichische Journalistin Renate Gollner, nachdem Arend wieder einmal mit hochrotem Kopf die Anwältin Lunnebach angeschrien hatte: „Jetzt halten Sie endlich den Mund!“ In Österreich, davon ist sie überzeugt, wäre die Österreicherin Ingrid Strobl „wegen dieser Lapalien, die bis jetzt auf den Tisch gekommen sind, weder in Haft genommen worden noch könnte sie deswegen verurteilt werden“.
In Düsseldorf wahrscheinlich schon. Ein Freispruch kommt schon deshalb kaum in Frage, weil sich sonst 18 Monate Untersuchungshaft kaum rechtfertigen ließen.
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