:
■ Jossif Jossifowitsch Kaminski, Überlebender (Dorf Chatyn, Rayon Logojsk, Gebiet Minsk):
Auch ich wurde in die Scheune getrieben. Meine kleine Tochter, mein Sohn und meine Frau waren schon drin. Und viele, viele andere. Ich sagte zu meiner kleinen Tochter: „Warum habt ihr nichts an?„
„Sie haben uns doch die Sachen heruntergerissen“, antwortete sie.
„Den Pelz haben sie mir weggenommen, ausgezogen haben sie uns...“
Leute wurden in die Scheune getrieben, dann wurde wieder zugemacht, wieder wurden welche reingestoßen und wieder wurde zugemacht. Es wurden soviel Menschen zusammengepfercht, daß man nicht mehr frei atmen, nicht mal mehr die Arme heben konnte. Die Leute schrien, die Kinder! Das ist eine bekannte Tatsache: Je mehr wir sind, desto größer ist unsere Angst. Heu und Stroh lagen da, das wurde für die Kühe gebraucht. Oben legten sie dann Feuer. Sie steckten die Scheune von oben an. Das Dach brannte, Feuer fiel auf die Menschen und Heu und Stroh fingen an zu brennen, die Leute rangen nach Luft, keuchten, drängten sich zusammen, daß man einfach nicht mehr atmen konnte. Unerträglich.
Ich sagte zu meinem Jungen: „Stemm dich mit Armen und Beinen gegen die Wand, stemm dich!“ Da wurde die Tür aufgemacht. Sie wurde aufgemacht, aber die Leute gingen nicht, rannten nicht hinaus. Warum nicht? Ja, sie schießen dort an der Tür, hieß es. Sie schießen. Das Geschrei war so groß, daß dieses Schießen, dieses Rattern gar nicht zu hören war. Das ist ja bekannt, die Leute brannten, Feuer fiel herunter, dazu die Kinder - ein Geschrei war das!
Ich sagte zu meinem Jungen: „Sieh zu, daß du irgendwie über die Köpfe weg rauskommst!“ Ich half ihm hoch. Ich selbst versuchte es unten zwischen den Beinen durch. Da fielen Tote auf mich, Tote, ich konnte kaum atmen. Ich schüttelte sie ab - damals war ich noch kräftiger - und kroch los. Kaum war ich an der Schwelle, da stürzte das Dach ein, es krachte herunter und das Feuer deckte alle zu! Ehe ich noch richtig draußen war, kam ein Deutscher, verpaßte mir eins mit dem Gewehrkolben, daß die Zähne nur so rauspurzelten. Und mein Junge hatte es auch geschafft rauszukommen, ihm waren bloß die Haare ein klein bißchen versengt. Fünf Meter rannte er, dann streckten sie ihn mit dem Maschinengewehr nieder... Streckten ihn nieder... Unser Nachbar Taddej torkelte aus dem Feuer, fiel auf mich, setzte sich hin, er brannte wie ein Baumstamm, rot, und sein Blut floß auf mich... „Rette mich!“, schrie er. „Rette mich!“ Dann fuhren die Deutschen weiter. Ich ergriff den Jungen, zog ihn, aber die Därme schleiften schon hinter ihm... Er fragte nur noch, ob Mutter lebte, die Schwester... Möge Gott jeden auf Erden vor so was bewahren! Daß niemand so ein Leid zu sehen und zu hören kriegt!
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen