: „Ohne Schönhuber und Frey verstünden wir uns blendend“
■ Nationalistische Parolen bei DVU/NPD und „Republikanern“ fast wortgleich / Aber die REPs gelten bei Mitgliedern und Neugierigen als „demokratische Partei“
Frank, 20 Jahre alt, lernt im dritten Jahr den Beruf des Metzgers und lebt in Rosenheim - einer CSU-Kleinstadt mit Alpenblick. Sein bester Freund „ist ein Türke“. Auf Platz zwei rangiert „Jockel, der klebt für die DVU immer Plakate. Ich bring sie ihm nachher vorbei“, erklärt Frank mit einem abschätzigen Blick auf die Papierrolle in seiner Hand. Mit der Partei des Gerhard Frey verbindet ihn nichts - nur der zweitbeste Freund. „Die sind doch härter als sie zugeben.“ Zustimmend nicken die eislöffelnden Kumpels in der kleinen Gesprächsrunde im Schatten des Steinbrunnens am Rosenheimer Marktplatz, wo Stunden vorher die „Deutsche Volksunion“ (DVU) mit einer gigantischen Lautsprecheranlage die Sonntagsruhe übertönt hat.
Franks Sympathie gehört „voll und ganz den Republikanern“, ihrem rechten Sinn für Vaterland und Ordnung. Oft fährt der kleine Bursche zu deren Parteiversammlungen oder Kundgebungen. Sein Hobby indes - „so was hat ja jeder Mensch“ - ist „nicht die Partei, sondern Randale“. Randale vor, während und nach Fußballspielen. Stolz tippt er sich auf die Lacoste-Brust: „Ich bin ein Hooligan. Immer gegen die Cops und Zivis. Wir Hooligans sind ja fast Anarchisten. Als „Republikaner“ bin ich für das Gegenteil, Ordnung und so. Das geht.“
Franz Schönhuber macht's möglich. Kaum ein Politiker, der wie der „Republikaner„-Chef in der Lage wäre, widersprüchliche Interessen und Ansichten zu bündeln. Tausende mobilisiert das „politische Chamäleon“ (DVU-Slogan) im Rahmen des Europawahlkampfes. Nicht das Thema Europa wirkt wie ein Magnet, sondern die Person Schönhuber. Während Wahlforscher den „Republikanern“ derzeit um die fünf Prozent der Stimmen voraussagen, verkündet Schönhuber zumindest in bayrischen Bierzelten, in der Region „werden wir 18 Prozent holen“.
Nicht minder großmäulig die bundesweit präsenten vereinten Agitatoren von DVU und NPD: „Wir freuen uns auf die Sensation am Wahlabend. Der Erfolg ist uns sicher.“ Zahlen nennen sie ebensowenig wie die Demoskopen. Gemessen an dem Besuch der Wahlveranstaltungen dürfte Schönhuber seinen persönlichen Rivalen Frey um Längen schlagen. Zwar gleichen sich die Parolen zuweilen bis aufs Wort, sehen die Anhänger der Kontrahenten „eigentlichen keinen Unterschied“ - doch die „Republikaner“ gelten für viele als „demokratische Partei“. Es sei „doch nichts dabei, sich die mal anzuhören“, normalisieren etliche, die in die Versammlungen strömen, ihre „Neugier“. Unter ihnen auffallend viele Männer, junge Männer. Ein Trend, den Statistiker bestätigten: In Berlin machte fast jeder fünfte Jungwähler bei den „Republikanern“ sein Kreuz. Bei den hessischen Kommunalwahlen stimmten in Frankfurt 13 Prozent der Jungwähler für die NPD.
Die Normalität der Neugier
Schweißtriefend schiebt sich der 28jährige Sparkassenangestellte Max in das Festzelt der Feuerwehr Gollach-Ostheim direkt neben einem fränkischen Zuckerrübenfeld. Über 2.000 Menschen kleben Seite an Seite und warten auf Schönhuber. „Aus reiner Neugier“ sei er gekommen, sagt Max, der wie fast alle auf solchen Veranstaltungen anonym bleiben möchte. Sein Vater ist SPD -Kommunalpolitiker, und „in der Sparkasse dürften die auch nicht wissen, daß ich hier bin“. Der Schalterbeamte hat „noch nie rechts gewählt“. Früher orientierte er sich am Vater. Dann fand er die Grünen gut, weil „sie den Umweltschutz hochgebracht haben“. Doch vor zwei Jahren bestand Max die Jägerprüfung und geht seither regelmäßig auf die Pirsch. „Als Jäger kann ich nicht die Grünen wählen, die wollen das doch verbieten. Ich weiß nicht mehr, was ich wählen soll“, begründet Max sein Interesse an den „Republikanern“. Zur Fahrt nach Gollach-Ostheim animiert hat ihn ein Nachbar, der sich für diese Partei wegen ihrer „Feindschaft gegen die Amis“ entschieden hat.
Der 32jährige Freund von Max arbeitet bei den Amerikanern als „Mobil-Operator“: Irgendwo in Franken fährt er das Essen für US-Truppen aus. Abends beackert er - wie viele Bauernsöhne aus der Region, die nicht nach der (elterlichen) Pleite in der Stadt ihre Arbeitskraft feilbieten müssen einen Sieben-Hektar-Hof. Und ärgert sich über US -Manöverschäden auf seinen Feldern: „Diese Besatzer machen in einer Nacht kaputt, was wir in sieben Jahren Frondienst aufgebaut haben.“
Die beiden Männer und Hunderte andere sind nur wegen Schönhuber in das winzige Dorf südlich von Würzburg gefahren. Dessen Auftritt in Gollach-Ostheim ging ein monatelanger Streit voraus. Er ist typisch und erklärt einen Teil des Erfolges der „Republikaner“. Mit leuchtenden Augen erzählen die einheimischen Kleinbauern ein Dutzend Versionen der Geschichte.
Sie geht ungefähr so: 40.000 Mark Unkosten hatte die Feuerwehr Gollach-Ostheim für ihr mehrtägiges Fest zum hundertjährigen Jubiläum kalkuliert. Folglich wurde ein zugkräftiger Festredner gesucht. Franz Josef Strauß, früher immer ein Magnet, sagte noch zu Lebzeiten ab. Andere Parteien zeigten kein Interesse, mit Ausnahme von Franz Schönhuber. Das regte CSU und SPD erst nach den „Republikaner„-Erfolgen bei den Berliner Wahlen im Januar auf. „Aber da war der Vertrag schon geschlossen“, freut sich der rotwangige Bauer Alfons Zaber (65). Kurz zieht der Alte die Mundwinkel bis zu den Ohren, um sofort die wasserblauen Augen zusammenzukneifen: „Das geschieht denen ganz recht. Die interessieren sich schon lange nicht mehr für uns.“ Wie auf Kommando stemmen die umsitzenden befreundeten CSU-Wähler die Maßkrüge in die Höhe. „Es muß mal ein starker Mann für uns sprechen.“ Das behauptet er von sich, der Franz Schönhuber.
Ein deutsches „Ja - Aber“,
stets dafür und doch dagegen
Pünktlich zu dem zwei Stunden zuvor geöffneten Zelt chauffiert, läßt sich der selbsternannte Volkstribun bejubeln. Seine Rede ist durchgängig nationalistisch, in Einzelheiten wirr, eitel und insbesondere rachsüchtig gegen den Bayrischen Rundfunk, seinen Ex-Arbeitgeber. Das Argumentationsmuster des „Ja - Aber“ hat Schönhuber verinnerlicht. „Wir sind nicht ausländerfeindlich, aber deutschfreundlich.“ „Wir sind für das Asylrecht für politisch Verfolgte, aber die Flut von Scheinasylanten muß an den deutschen Grenzen gestoppt werden.“ „Ja zu Europa, aber nein zu dieser EG, in der die Deutschen nur Zahlmeister sind.“ „Der Strafvollzug darf nicht unmenschlich sein, aber er muß wirksam sein. Wir brauchen mehr Polizisten, schärfere Gesetze, härtere Urteile.“
Heftig attackiert Schönhuber die evangelische Kirche, deren „Pfarrer die Bergpredigt mit dem Kommunistischen Manifest verwechseln“. Das sagt er, weil der Dorftheologe sich geweigert hat, im Festzelt einen Gottesdienst zu zelebrieren und im Nachbarort ein Kollege auf der Gegenkundgebung sprach. Stets sensibel für Stimmungen, reagiert Schönhuber auf den dünnen Beifall der nach eigenem Bekunden „guten Kirchgänger“ sofort mit einem abrupten Angriff auf den „Steuerkriminellen Lambsdorff“ und die grünen Gewaltkriminellen, die unser schönes Land ausplündern wollen. Aber da seien Gott und die „Republikaner“ vor. Erneut gerät das Publikum in Wallung.
So schnell, wie der Bayer auf der Bühne stand und mit dem Taktstock die Kapelle und die Menge dirigierte, so blitzartig verschwindet er wieder. Hat die deutsche Show überzeugt? Schweigen am Tisch der Dorfbewohner. Eben noch lachend, bisweilen hingerissen von der abgestandenen Rhetorik des Redners, verschließen sich die sonnengebräunten Gesichter? Schweigen. Nach Leibeskraft trommelt der Schlagzeuger der Trachtenmusikkapelle. „Na ja, zur Landwirtschaft hat er eigentlich nicht viel gesagt. Daß es uns schlecht geht, wußte ich schon vorher“, erinnert sich Alfons Zaber angestrengt an die Rede. Zeitlupenmäßig streicht der Alte sich über den weißen Scheitel. Da entsinnt er sich: „Daß wir deutsch sind, stimmt ja. Und die Schuhe abstreifen müssen wir uns auch nicht immer.“ Ein erneutes Signal für das Heben der Maßkrüge. Danach wechselt das Thema zu Zabers Gelbvieh, den Tierärzten und der leidenschaftlich diskutierten Frage, ob der Pfarrer am Sonntag vor leeren Bänken beten wird.
Bauer Zaber bewies Instinkt für die Sehnsüchte. Einen (keineswegs neuen) Satz aus Schönhubers Rede haben sich die ZuhörerInnen eingeprägt: „Wir Deutschen dürfen uns nicht mehr alles gefallen lassen wie die Kaninchen.“ Welches Kaninchen träumt nicht davon, wie ein Schäferhund gefürchtet zu werden? Deshalb akzeptieren sie, „daß er ein bißchen brutal ist, sonst würde ja keiner auf ihn hören“ - zögernd, aber doch bereitwillig lassen sich die von den etablierten Parteien Enttäuschten in eine neue, rechte Heimat führen.
„Da ist ja nichts dabei“, wiederholt der Sparkassenangestellte Max, der zwecks Orientierung nach Gollach-Ostheim kam, „s'ist ja eine demokratische Partei.“ Mitverantwortlich für diese Wahrnehmung sind Ex-Minister Zimmermann, diverse CDU-Politiker sowie der Verfassungsschutz. Lautstark plazierten sie die „Republikaner“ im staatstreuen, bürgerlich-demokratischen Parteienspektrum und attestierten zumindest, die REPs seien „rechtsradikal, aber nicht rechtsextremistisch“ - ein Unterschied, den nur Bürokraten begreifen. Schönhuber lachte sich schief, und sein unsicheres Wählerpotential hat es aufmerksam registriert.
„Hitler hatte nur einen Fehler: Er verstand nichts vom Krieg“
Während die Schwelle für den Besuch einer „Republikaner„ -Veranstaltung offenbar äußerst niedrig liegt, bleiben die Parteilosen bei DVU-Treffen in verschwindender Minderheit. Doch es gibt sie, oft aufmerksam geworden durch die Postwurfsendungen. Da ist zum Beispiel der 47jährige Bankkaufmann, „in St. Peter Ording glücklich hinterm Deich aufgewachsen“, der sich „noch keine großen Gedanken gemacht hat“, aber Frey in der Nibelungenhalle von Passau hören möchte. Freundlich aber bestimmt verweigert der Mann jede Diskussion: „Ich will mir hier Stichpunkte machen und dann erst mal drüber nachdenken.“
Diese Phase hat die Mehrzahl der 2.500 aus dem ganzen Bundesgebiet zum Traditionstreffen Angereisten hinter sich. Deutschland-Hemden, Deutschland- und Reichskriegsfahnen, Deutsche Reichskarten, deutsche Märsche, Deutschland-Rufe, deutsche Aufnäher, deutsche Grußbewegungen, deutsche Greise
-und deutsche Jugend. Wenn sie zittern vor Wut oder Begeisterung, sprungbereit zum Sturm nach draußen gegen den „Terror der Gewaltverbrecher vor der Halle“, dann drängt sich eine Assoziation auf: „So muß es damals gewesen sein.“
Der politische Inhalt der Reden von NPD-Chef Mußgnug und Frey erinnert an Schönhubers Propaganda vom Vortag. Balzworte in Richtung Polizei; Ausfallendes für Gewerkschaften und evangelische Kirche; Nationalismus und „Glauben an die einzige deutsche Hauptstadt: Berlin„; Anti -Amerikanismus. „Wir haben die Türken nicht vor 300 Jahren vor Wien geschlagen, um ihnen jetzt ganz Europa auszuliefern.“ Hetze gegen die „Scheinasylanten“ usw. In einem Punkt indes unterscheiden sich die Reden: Hingebungsvoll und ausdauernder widmet sich Frey den „Helden“ des zweiten Weltkrieges, der Wehrmacht, jener „tapfersten und ruhmreichsten Gruppe, die die Weltgeschichte je gesehen hat und je sehen wird“. Lautstark feiern sie einen Mann auf dem Podium, „der im Kampf um Stalingrad 70 Flugzeuge abgeschossen hat“. Mit Tränen in den Augen singt die Menge stehend ein Lied für die „Gefallenen“.
Der Krieg, das ist ihr Leben. Über nichts reden sie lieber. Charlotte Albach (65), die als Sachbearbeiterin im Landratsamt am Chiemsee ihr jugendliches Aussehen konserviert hat, trauert über „Hitlers einzigen Fehler: er verstand nichts vom Krieg. In sechs Jahren macht man ein Volk nicht wehrfähig.“ Über den deutschen Völkermord legt sich ein kokettes Lächeln wie beim Tanztee. Resolut zupft die „Kriegerwitwe“ am Rüschenkragen ihrer rosa Bluse und erzählt vom Reichsarbeitsdienst, ihrem Einsatz als Flakwaffenhelferin, von der Flucht aus der DDR, einer schweren Krankheit und dem Plan: „Wenn du je vom Bett wieder aufstehst, gehst Du zum Roten Kreuz.“ Aber dazu hat die Parteigängerin - Bücher und „beschmutzte Ehrendenkmäler“ haben die CDU-Wählerin vor fünf Jahren zur DVU getrieben „keine Zeit mehr“.
Daß „die Republikaner unser Programm abgeschrieben haben“, regt Charlotte Albach wie die meisten DVU/NPD-Mitglieder maßlos auf. „Ewig schade“, so faßt ein früherer Flugzeugmechaniker ihre Ansichten zusammen, „daß wir uns gegenseitig reiben. Die „Republikaner“ müßten mit uns eine nationale Front aufbauen, so daß wir gemeinsam durchbrechen können.“ Das Vorbild ist die Front National des Franzosen Le Pen. Dessen Schlachtruf von 1986 „Les Fran?ais d'abord“ haben Schönhuber und Frey übernommen: „Deutschland zuerst“ lautet die Übersetzung.
Schönhuber gefällt den Alten nicht, weil er „nicht so gradlinig ist, wie die DVU“. Seine Stärke, das Durcheinander in der Propaganda wie in der Biographie - von der Waffen-SS über die Arbeit für Kommunisten, Jusos und Bayrischen Rundfunk - das kreiden ihm die Traditionalisten an, macht sie mißtrauisch. Die Tatsache, daß zahlreiche Alt-Nazis und Ex-NPDler bei den „Republikanern“ organisiert sind, wirkt auf die DVU-Anhänger wenig überzeugend. „So oft, wie der sich schon gedreht hat, wäre es doch kein Wunder wenn er mit den Altparteien koaliert“, prophezeit Charlotte Albach, „und das bringt nur Leid für die Deutschen.“
Der „Spießer“ und
der „Goebbelsmäßige“
Auch bei der jugendlichen DVU-Basis konzentriert sich die Kritik an den „Republikanern“ auf die Person Schönhubers. Er sei „scheinrechts“, werde „sich gegen die Altparteien nicht durchsetzen“, so das einhellige Urteil 17- bis 20jähriger DVU-Schüler auf dem Marktplatz von Rosenheim nach einer „Großkundgebung“ von Gerhard Frey. Ihn empfingen mehr Demonstranten und REPs als Sympathisanten. Anders als die alten Mitglieder der beiden Organisationen, die Abstand wahren, diskutieren die Jungen miteinander. Der Grund liegt auf der Hand: „Ohne Schönhuber und Frey würden wir uns bestens vertragen“, lacht der 20jährige REP und Hooligan Frank. Kein Widerspruch bei den sechs Turnschuh-Trägern. Gefragt nach inhaltlichen Differenzen, bestätigen sie sich in einem heftigen Wortwechsel über Ausländer und „Scheinasylanten“ politische Übereinstimmung. Betroffen schweigt daraufhin ein „Republikaner“, der zuvor im Gespräch mit Passanten noch wütend darauf bestanden hat: „Du willst doch nicht behaupten, daß DVU und REPs das gleiche vertreten?!“ Seinen Freunden scheint er zu glauben.
„Nur“, setzt Frank hinzu, „der Frey hat was Goebbelsmäßiges.“ Teilnahmslos hatte Andreas neben Frank gestanden. Plötzlich verkrampfen sich seine Gesichtszüge. Bissig greift er in die Debatte ein: „Dein Schönhuber ist ein Spießer. Ich find den Frey auch nicht Spitze, aber der rüttelt wenigstens Emotionen wach. Deshalb sind wir noch lange keine Nazis.“ Ok, ok. Die beiden Streithähne setzen sich auf die Holzbank. „Das mit den Nazis“ erklärt Andreas mit einer simplen Formel, die auch andernorts ungefragt aus DVU-Mündern quillt: „Nazis heißt Nationalsozialisten. Wir sind national, keine Sozialisten. Sozialismus schließt Demokratie aus.“
„Nazis raus„-Rufe auf Kundgebungen oder entsprechende Anmache in der Schule hat die Jugendlichen beider Parteien früher „echt angeätzt, aber inzwischen ist mir das völlig egal“, sagt der „Republikaner“ Frank, gleichwohl schwingt ein Anflug von Bedauern in der Stimme mit, während er fortfährt: „In der Schule reden die meisten mit uns nicht mehr.“
An Prügeleien mit Andersdenkenden können sich die Kleinstädter nicht erinnern. Im Unterricht an den örtlichen Haupt- und Realschulen werde selten über das Dritte Reich geredet. Ein Gymnasiast hatte vor diesem Gespräch berichtet, an seiner Schule sei die NS-Zeit „von vorne bis hinten durchgekaut“ worden. „Aber da sagst du besser nicht die Wahrheit. Die Linken mit ihren Fünfern in Geschichte sind Nieten und haben keine Ahnung. Und mit dem Lehrer muß ich mich gut stellen. Für die Abschlußprüfung brauche ich 'ne gute Note.“ Darauf will kein Schüler verzichten.
Denn sie haben klare Zukunftspläne und Lehrverträge bei der Bank oder einem Handwerksbetrieb in der Tasche. Ein schmaler Bub, der regungslos die Debatte verfolgt hat, erwidert auf die Frage nach dem Berufswunsch: „Ich will Kriegsberichterstatter werden.“ Den Weg zu diesem „aufregenden Beruf“ stellt der 17jährige sich so vor: Verpflichtung bei der Bundeswehr auf zwölf Jahre, „und dann kann man da ja studieren“. Beim Manöver oder auf der Bundeswehrhochschule. Welche Kriege der künftige Reporter sich ansehen will, läßt er offen. Vielleicht die Schlachten um Elsaß-Lothringen oder Österreich? Schließlich glaubt der Junge, das seien „deutsche Gebiete, die wieder zu einem Staat zusammengeführt werden müssen“. Wie anders als durch Krieg? „Hm, man kann das über Verhandlungen machten.“ Ernsthaft.
Hafenstraße aufgemischt
Nicht erlebte Enttäuschung über die etablierten Parteien, nicht Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, noch andere in den Ballungszentren explodierende soziale Probleme führten diese Jugendliche zu den Rechten. Schon gar nicht deren Jugendarbeit. „Da tun die Rechten genausowenig wie andere Parteien“, heißt es. Die „Republikaner“ beabsichtigen, einen „Jugendkreis“ zu gründen, weiß Peter, nachdem „in den letzten Monaten so viele 13- bis 15jährige eingetreten sind“. (Nach Beschwerden ahnungsloser Eltern müssen die Kids neuerdings eine Unterschrift der Erziehungsberechtigten vorzeigen.) Die Mehrzahl der Jungen aus dieser Gesprächsrunde behauptet, sie seien aus „reinem Zufall“ bei den REPs oder der DVU gelandet. Ein Flugblatt in der Straßenbahn, Schönhubers Fernsehauftritte, die DVU -Postwurfsendung, Opas Schwärmereien vom Kampf gegen die Partisanen, die Begleitung eines Kumpels zu einer Versammlung, „weil grad nix anderes anlag“ - Anlässe, die in jedem Provinznest zu hören sind.
Sofern die Geworbenen einen Parteiausweis besitzen - viele DVU-Sympathisanten fürchten die Dateien des Verfassungsschutzes - beschränken sich ihre Aktivitäten auf den Besuch von (öffentlichen) Zusammenkünften und aufs Plakatekleben. Zu mehr haben die Hooligans von Rosenheim „jedenfalls keine Lust“ und keine Zeit. Für Frank (REP) und Andreas (DVU) „ist die Randale genauso wichtig wie die Partei“. Das Wochenende gehört dem Fußball. Unvergeßlich die Europameisterschaft in Hamburg.
„Da haben wir die Hafenstraße aufgemischt.“ Franks Augen glühen, „die müßte man vernichten. Für die Chaoten muß Dachau wieder aufgemacht werden“. Plötzlich findet Peter, der vor Stunden heftig auf dem Gegensatz zwischen REPs und DVU beharrte, die Sprache wieder. „Bist Du bescheuert? Mit dieser Mentalität schadest Du den Republikanern.“ Das bestreitet Frank: „Ich hab gesagt: aufmachen und nicht: vergasen. In keiner Partei sind alle Leute gleicher Meinung. Im Prinzip machen wir nichts anderes, als was im Grundgesetz steht.“ Er unterbricht sich kurz. „Naja, das mit den Ausländern steht da wohl nicht drin.“ In diesem Moment radeln zwei dunkelhaarige Jungs am Brunnen vorbei. „Frank, Du Schwein“, zischt einer. Der Angesprochene schaut ihnen wütend hinterher: „Siehst Du, so provozieren uns die Türken.“ Woher kennen sie Frank, dessen „bester Freund ein Türke“ ist? „Naja, die haben meinen Namen mal gehört.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen