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Bemerkungen zum Euro-Rüstungsmarkt

Der Bremer Wirtschaftsprofessor Jörg Huffschmid hatte in seinem Beitrag über das Verhältnis von Rüstungs- und Binnenmarkt (Teil 13 vom 29.4.) betont, daß die militärisch -industriellen Komplexe „durch und durch nationalstaatlich geprägt“ sind und sich „weder liberalisieren noch internationalisieren“ lassen. Michael Brzoska, Mitarbeiter des Forschungszentrums Kriege, Rüstung und Entwicklung an der Uni Hamburg, unterstreicht den Druck zur Westeuropäisierung, der auch von der Rüstungsindustrie ausgeht.

Jörg Huffschmid schätzt die Chancen einer verstärkten Westeuropäisierung der bundesdeutschen Rüstungsindustrie eher negativ ein. Sein wichtigstes, in der Tat sehr gewichtiges Argument: Der Militärisch-Industrielle Komplex (MIK) ist national verankert, ist ein westdeutscher MIK und in absehbarer Zukunft kein westeuropäischer MIK. Die Frage ist, ob der MIK-Begriff, so wie Jörg Huffschmid ihn benutzt, für die BRD stimmig ist. Auch die Frage der Europäisierung müßte dann eventuell anders beantwortet werden.

Das MIK-Konzept, das ursprünglich auf die USA angewandt wurde, muß für die BRD modifiziert werden,

-weil in der BRD, anders als in den USA, weite Teile der Rüstungsindustrie firmenmäßig in große Kapitalgesellschaften integriert sind (Siemens, Daimler-Benz),

-weil das westdeutsche Militär, anders als das US -amerikanische, Kauf-Alternativen hat (die Luftwaffe zum Beispiel hätte lieber F-18-Kampfjäger als Jäger-90 beschafft, weil die F-18 erprobt und der Jäger-90 ein technisches Roulette-Spiel ist),

-weil in der BRD, anders als in den USA, die Politiker viele Möglichkeiten wirtschaftlicher Steuerung haben, nicht nur die der Rüstungsausgaben. Einzelne Politiker sind deswegen nicht so abhängig von Rüstungsaufträgen wie etwa US -amerikanische Kongreßmitglieder, die ihrem Wahlkreis Geld zukommen lassen „müssen“.

Der MIK in der BRD ist ein weit lockererer Verbund als der in den USA - mit der Konsequenz, daß Entwicklungen von außerhalb ihn leichter beeinflussen. Eine solche Entwicklung ist die Schaffung des europäischen Binnenmarktes 1992. Sie ist ein Produkt fundamentaler Veränderungen: des Interesses der großen Konzerne, die letzten westeuropäischen Barrieren gegen ihre Expansion zu beseitigen, aber auch vieler Politiker, ihre Legitimationsbasis dadurch zu verbreitern, daß sie etwas Historisches tun, das, Meinungsumfragen zufolge, tatsächlich populär ist.

Diese beiden fundamentalen Veränderungen gegenüber der „nationalen“ Vergangenheit plus das konkrete Ereignis „1992“ beeinflussen die Struktur des westdeutschen MIK. Politiker sind etwas stärker bereit, auch bei der Rüstungsbeschaffungspolitik westeuropäisch vorzugehen. Vor allem aber: Den Konzernen ist der nationale Markt für Rüstung zu eng geworden, sie wollen expandieren. 1992 ist das magische Datum für die zivilen Bereiche. Warum nicht auch für den Rüstungbereich - insbesondere, wo es sich häufig um dieselben Firmen dreht und außerdem viele Technologien, vor allem im Bereich der Elektronik, ohnehin nicht mehr ausschließlich dem einen oder anderen Bereich zuzuordnen sind?

Es gibt also beträchtlichen Druck zur Westeuropäisierung aus dem MIK heraus, insbesondere von den großen Rüstungsfirmen. Bestes Beispiel ist Daimler-Benz, deren Manager mit MBB klaren Kurs auf Westeuropa haben.

Natürlich bestehen die Restriktionen, die Jörg Huffschmid aufzählt: der EWG-Vertrag, die Vorteile eines gesicherten nationalen Marktes, die Sicherheit aus guter Zusammenarbeit mit nationalen Politikern. Wieder kann Daimler-Benz als Beispiel gelten: Vor der Übernahme von MBB verlangte das Management, daß über die Beschaffung einiger nationaler Rüstungsprojekte entscheiden werden mußte: PAH-2 -Kampfhubschrauber und Jäger-90.

Die Rüstungsindustrie will beides: nationale Vorzugsbehandlung und den größeren Markt. Es ist noch offen, was ihr letztlich wichtiger sein wird, aber angesichts

-der beschleunigten Konzentration der westeuropäischen Rüstungsindustrie,

-der immer komplizierter und teurer werdenden Waffensysteme,

-bei gleichzeitigem Gorbatschow-Druck auf die Beschaffungshaushalte

-und des allgemeinen Rationalisierungsdrucks

steigen die Chancen, daß sie bevorzugen, in den kalten Olympia-Pool des westeuropäischen Wettbewerbs zu springen, statt im beheizten nationalen Klein-Schwimmbecken zu bleiben.

Aber ist es nicht eine rein akademische Frage, ob nun der westeuropäische Rüstungsmarkt kommt oder nicht? Eine verstärkte Westeuropäisierung dürfte so große politische Konsequenzen haben, daß es von einiger Bedeutung ist, sich damit auseinanderzusetzen. Erstens führt eine Westeuropäisierung quasi automatisch zur Vereinheitlichung der Rüstungsexportpolitik in Westeuropa. Überläßt man das Feld den Rüstungskonzernen, ist es sehr leicht vorstellbar, wie das enden wird: Man trifft sich auf dem Niveau des kleinsten Nenners, sprich der schlappsten aller denkbaren Rüstungsexport-Begrenzungen.

Dagegen kann man aber etwas tun, denn die Stimmung für mehr Kontrollen von Rüstungsexporten ist gegenwärtig in der BRD nicht schlecht. Wenn es auch blauäugig ist zu glauben, daß eine Westeuropäisierung der Rüstungsindustrie zu mehr Rüstungsexportkontrollen führen würde (wie etwa kürzlich das Europa-Parlament mit großer Mehrheit beschloß), so kann der Trend zur Westeuropäisierung doch dazu genutzt werden, zu argumentieren, daß der Rüstungsexport in der BRD stärker kontrolliert werden muß - sozusagen im Vorgriff - und daß die Regierung Druck auf die anderen westeuropäischen Länder ausüben soll, daß auch sie ihre Rüstungsexporte begrenzen.

Zweitens geht mit mehr Westeuropäisierung ein weiteres Stück parlamentarischer Kontrolle der Rüstungsbeschaffung verloren. Schon jetzt ist es nicht viel - aber auf westeuropäischer Ebene wären nur noch Militärs und Bürokraten beteiligt.

Jörg Huffschmid hat recht, wenn er schreibt, daß Koproduktionen eine Art Westeuropäisierung sind, die gleichzeitig dem nationalen MIK einen nationalen Schutz bieten. Koproduktionen haben bereits zur weitgehenden Lockerung der Rüstungsexport-Restriktionen der BRD und zur Abschwächung der Möglichkeiten parlamentarischer Kontrolle geführt.

Aber wenn diese Betrachtung der Interessen und Triebkräfte richtig ist, werden in Zukunft Koproduktionen gegenüber mehr Wettbewerb im europäischen Maßstab an Bedeutung verlieren. Koproduktionen haben nämlich den entscheidenden Nachteil, daß sie die Expansion der großen Konzerne begrenzen.

Die Analyse der zukünftigen Entwicklung der westeuropäischen Rüstungsindustrie steht auf wackligen Füßen, weil so vieles offen ist. Welche Interessen werden sich als die wichtigsten erweisen? Wird es eine stärkere Westeuropäisierung in der Militärpolitik geben? - usw. Aber die Chance einer Westeuropäisierung der Rüstungsindustrie einschließlich der genannten negativen politischen Konsequenzen und Möglichkeiten einer Gegenwehr scheinen gegenwärtig größer zu sein, als Jörg Huffschmid sie beschrieben hat.

Michael Brzoska

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