Gesinnungsurteil

■ Ein Gesinnungsparagraph als Basis für entsprechendes Urteil

Das Urteil gegen die 37jährige Journalistin Ingrid Strobl ist ein Skandal ersten Ranges. Zwar war mit einer Verurteilung zu rechnen, weil die lange Untersuchungshaft, die wiederholte Ablehnung der Verteidigeranträge auf Haftentlassung und nicht zuletzt die Art der Verhandlungsführung wenig Hoffnung auf einen Freispruch ließen. Doch die Höhe der Strafe übersteigt selbst die schlimmsten Befürchtungen der ProzeßbeobachterInnen. Fünf Jahre Haft für einen Weckerkauf, das sprengt alle Maßstäbe von Verhältnismäßigkeit, alle Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit. Das ist Ausdruck von Rache gegenüber einer Frau, die sich durch monatelange Untersuchungshaft und einer drohenden Verurteilung nicht mürbe machen ließ, sich unbeugsam zeigte und nicht nur ihren Bekannten, sondern vor allem ihre moralischen und politischen Wertvorstellungen nicht verriet. So klangen denn auch die ersten Worte des Vorsitzenden Richters zur Urteilsbegründung, in denen er seiner Empörung über Ingrid Strobls Schlußwort Ausdruck verlieh. Auch die vielen Worte zur Urteilsbegründung können nicht verbergen, wie dünn und dürftig die Argumentation ist, mit der das Gericht seine Entscheidung rechtfertigt. Systematisch hat es alle ZeugInnen-Aussagen und seien sie noch so widersprüchlich gewesen, gegen Ingrid Strobl interpretiert - alles Entlastende dagegen übergangen.

Gleichzeitig hat es Ingrid Strobls eigenes, von ihr erklärtes Verhalten, zum Beispiel X nicht zu nennen, als Ausdruck krimineller Gesinnung denunziert. Es hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, zu versuchen, Ingrid Strobl konkrete Kontakte zu den Revolutionären Zellen nachzuweisen. Die einseitige Interpretation ihres Verhaltens in Verbindung mit dem Paragraphen 129a StGB reichten dem Gericht völlig aus. So hanebüchen diese gesamte Beweisführung auch ist, sie macht klar, daß diese Gerichtsverhandlung mit Rechtsfindung nichts mehr zu tun hat. Sie gibt jenen recht, die diese Verhandlung von vorneherein als Farce abtaten und davon ausgingen, daß das Urteil längst feststehe. Insbesondere macht es auch den Charakter des Paragraphen 129a, die Basis dieses Urteils, einmal mehr als einen Gummiparagraphen deutlich, der nach Belieben und politischer Opportunität angewandt und ausgelegt werden kann. Mit Rechtsstaat hat das nichts mehr zu tun.

Gitti Hentschel