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Der Ku'damm als Kuhstall

Vor dem weltberühmten Cafe Kranzler am Ku'damm parkt der kaum weniger bekannte Trecker mit strohbeladenem Hänger aus Heide in Dithmarschen. Freundlich lächelnd schiebt sich eine Viertelmillion Menschen vorbei. Ein Berliner hält's nicht aus. Brüllt vom Bürgersteig: „Was soll der Mist? Unser Ku'damm ist doch keine Provinz und schon gar kein Kuhstall!“ Die Ähnlichkeit mit Letzterem ist nicht zu leugnen. Zwischen Kranzler-Eck und Uhlandstraße schlappen Herr Birkenstock und Frau Turnschuh über Stroh. Nur ein Bruchteil des Dithmarscher Getreidestengel-Fuders hängt als Strohgirlande mit bunten Kreppbändern zwischen den Bäumen des Mittelstreifens. Mit diesem „Geschenk an die Berliner“ pilgert die „Backofen-Gruppe“ von der Auferstehungskirche Heide, Missionsgebiet an der Nordsee, seit Jahren zu den Kirchentagen. Ihr „Medium“, den Steinbackofen, vermissen viele Hungrige. Schier unersättlich schien der Appetit der Menschen während des ersten Abends auf dem Ku'damm.

Mit koreanischem Glasnudelsalat mit Maultauschen, gegrillten Fischen, Bratwurst und süßem Krimsekt verdaut die Masse die Gottesdienste. Hochkonjunktur der Ohrlochstecher, Billighosenverkäufer und Friedenstaubenaufkleber. Flugblätter für den Empfang des 50.000sten Kriegsdienstflüchtlings „jehen janz jut wech, wa. Wenn die so aus'n Dorf kommen, is et wat andret als bei de Berlina“, freut sich der metropolitane Agitator.

Als „ganz toll“ empfinden die meisten die Tatsache der großen Zahl flanierender Menschen, die in der Regel die Größe des Heimatortes übersteigt. Überwältigt von der Freßkirmes legen sie sich auf ihre Liegematten in den Turnhallen oder ins Hotelbett, um am nächsten Morgen die Busse zu verstopfen. In der U-Bahn Richtung Messegelände drängt sich das Gefühl auf, der Boden des Waggons könnte gleich durchbrechen. Er hält.

47.390 Menschen strömen zur Bibelarbeit auf die Pappkartons in den vollklimatisierten Messehallen. Landesbischof Horst Hirscher erläutert den auf Seite 13 des 430 Seiten starken Programms stehenden Psalm 90 - die auf Seite 14 gedruckte „Fassung in frauengerechter Sprache“ wird irgendwo anders behandelt. In Halle 17 interpretiert der Bischof die Worte des „Psalmisten“ zum Thema „Das Drama des Menschen mit seinem Gott“. Vornehmlich ältere Menschen, aber auch SchülerInnen notieren: „Das Phantastische an unserem Glauben besteht darin, daß wir auch den zornigen Gott mitdenken, uns nichts vormachen müssen.“ China, Usbekistan. Eine 19jährige Arzthelferin aus Osnabrück nimmt „wichtige Anstöße für den Konfirmandenunterricht mit“.

Zwischen den Informationsständen auf dem „Markt der Möglichkeiten“ fehlt kein bundesrepublikanischer Verein, der etwas auf sich hält. Tierfreunde indes suchen vergeblich den Verband der Taubenzüchter. Unbegreiflich, die „Rennpferde des kleinen Mannes“, wie die grauen Flieger im Ruhrgebiet heißen, haben mit dem Himmel bestimmt mehr zu tun als die Männer vom Stand der IG Bau Steine Erden. Verärgert über die „Fülle an weltlichen Informationen“ kritzelt eine 22jährige Krankengymnastin aus Münster an die „Kritikwand“: „Wo ist keine Politik?“

Gottesdienst im Computer

Sie hätte nur um die Ecke gehen müssen zum Verein „Pfarrer und PC“, der an fünf Computern die „elektronische Konkordanz“ demonstriert. Das gespeicherte Bibelprogramm ist für 40 Mark zu bestellen. Einen Zehner kosten die fünf Disketten des kirchlichen Gesangbuches mit 503 Liedern. Nein, „der Computer wird die Orgel im Gottesdienst nicht ersetzen“, beruhigt ein pastoraler Pionier Zuschauerängste vor „Entpersönlichung“. Die elektronische Melodie von „Auf auf, Ihr Reichsgenossen“ piepst jämmerlich aus dem Gerät. Grenzen der Hardware. „Das soll eine Schreibtischhilfe für den Pfarrer am Samstag sein, wenn er die Lieder aussucht und sich mal nicht an die Melodie erinnert.“

Von dem Gewühl der gigantischen (Buch-)Messe ermattet, zieht es viele Menschen auf den Teppichboden des „Meditationsraumes“. KirchentagshelferInnen am Eingang zu dieser Halle tragen große Schilder mit der Aufschrift „Stille“. Zärtlich schmusen junge Liebespaare, leise schnarcht ein Typ zwischen den Meditierenden hinter der Gebetswand mit Hunderten von Zettelwünschen. „Wenn Ihr einen Schlafplatz sucht, geht bitte woanders hin“, mahnt am Nachmittag ein großes Schild am Eingang der Halle.

Hunderttausend wuselten am Donnerstag über das Messegelände. Den Verbleib der restlichen 70.000 konnte die Kirchentagsleitung „zunächst nicht aufklären“. Später wurden sie an 120 Veranstaltungsorten im Stadtgebiet gezählt. Einer der schönsten, das geliehene Kirchen-Schiff „MS Edith“, schaukelt im Mittelbecken des Berliner Westhafens. Zwischen uralten Lagerhallen und Getreidespeichern flattern Kirchen und Reedereifahnen. Unter Deck schenkt die Frau des Heilbronner Schiffermissionars Kaffee aus. Kapitän Willi Schwarz (68) aus Bergeshövede, dem münsterländischen Schiffsknotenpunkt zwischen Ost und West, erläutert den wenigen BesucherInnen Fotos aus dem Leben der Binnenschiffer. Beim „gemütlichen Nachmittag“ im naheliegenden Haus der Schiffergemeinde fällt die angekündigte „Begegnung mit Berliner Binnenschiffern“ mangels deren Beteiligung ins Wasser. Aber gedeckter Kirschkuchen und „richtiger Kaffee“ schmeckt den 30 betagten Frauen trotzdem. Schlecht ist die Lage der Binnenschiffer, groß die Probleme ihrer Kinder und Frauen. Auf den rot -grünen Senat hofft ein Berliner Berufsfunktionär: „Schiffe sind der umweltfreundlichste Verkehrsträger.“ Werner Badczong, der Vorsitzende des Verbandes der evangelischen Binnenschiffergemeinden, unterhält die Runde mit Politik und Schiffergedichten über das „geliebte Steuerrad“ von der „MS Libelle“. Natürlich wissen hier alle, daß am Messegelände „mehr los ist“. Aber „auf dem bombastischen Treffen begegnet man nur Fremden. Hier ist es warm und familiär“, sagt ein Spandauer Ehepaar, das es ohnehin selten zum Ku'damm zieht.

Berliner Zoo-Insassen

Dort räumen die Kirchentagsaktivisten erst spät am Abend das Feld. Eine der letzten Podiumsdiskussionen mit dem Publikum an verschiedenen Straßenecken dreht sich um die Anerkennung der Prostitution als Beruf. „Originell“ finden drei zu spät gekommene Hausfrauen aus Offenburg das Gespräch. „Wir sind ja schon lange verheiratet und über das Alter hinaus“, meint eine 51jährige mit Blick auf die Frauen der Berliner Prostituierten-Selbsthilfegruppe Hydra auf der Bühne, „aber so was sieht man ja nicht alle Tage. Gehen die wohl anschaffen?“ - „Glaub ich nicht, die sehen viel zu intellektuell aus“, kichert ihre Freundin zurück. Der Berliner Zoo ist allemal eine Reise wert.

Petra Bornhöft

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