piwik no script img

MARCIA PALLY

 ■  Die Ente der Spaks und Mr. Dumonds Hoden

Marcia Pally ist eine bekannte New Yorker Feministin und Journalistin. Sie ist Cheffilmkritikerin bei 'Penthouse‘ und schreibt außerdem in 'The Village Voice‘, 'New York Times‘, 'The Nation‘ und 'Taxi‘. Und einmal im Monat in der taz, was die Europäer über den Big Brother wissen sollten.

Höchste Zeit, daß hier einmal Amerikas neuester Sport ernsthaft erörtert wird, Gerichtsverhandlungen. Längst werden Amerikas Gerichte nicht mehr nur von denen bemüht, die beruflich mit der Ethik unseres Gesellschaftsvertrags befaßt sind, es geht nicht mehr nur um freie Rede und die Rechte des Individuums oder um die Brüche des Gesellschaftsvertrags wie Korruption, Unterschlagung oder Gewaltverbrechen - in den letzten zwanzig Jahren sind sie darüber hinaus zu einem Hobby für jedermann geworden. Das überrascht mich nicht im geringsten. Die wirklichen Herausforderungen wie die Eroberung der Grenze sind seit fast hundert Jahren bestanden; in Südostasien haben wir zu hoch gepokert, und in Mittelamerika gibt es einfach zuviele Insekten, da macht das Spielen keinen Spaß. Der häusliche Ersatz für ernstliche Auseinandersetzungen wie Football oder Baseball ist heute ein zu anonymes Geschäft, um noch persönliche Kampfeslust zu befriedigen, und Tennis (und all seine Verwandten) ist zu höflich und harmlos. Scheidung ist zwar stets noch eine populäre Unterhaltungsform, tötet den Geist aber eher ab, statt ihn zu beleben. Nur ein eigener Gerichtsfall bietet noch Genugtuung - mitreißend, erregend, ein Intelligenztest und wie maßgeschneidert auf die kostbaren kleinen Wechselfälle unseres Lebens.

Die Gerichte entsprechen diesem nationalen Bedürfnis mit einem demokratischen Sinn fürs Fairplay - jeder bekommt seine Chance. Zum Beispiel das Ehepaar Jo und Shirley Spak aus Strongsville, Ohio, dem der örtliche Richter Gerechtigkeit widerfahren ließ. Die Ente der Spaks war von einem Auto überfahren worden. Der Fahrer des Wagens, Robert Yarsky, hatte überdies Fahrerflucht begangen. Er bekannte sich in einem Verfahren, das die Stadtöffentlichkeit in Atem hielt, eines Vergehens zweiten Grades schuldig und wurde in einem besonders eleganten Richterspruch dazu verurteilt, ein Buch über Enten zu lesen und zwei Monate lang zwei Tage pro Woche auf der Burnette Animal Farm zu verbringen. Außerdem mußte er den Spaks eine neue Ente kaufen. Eine ähnlich bewegende Klage führt in West Palm Beach, Florida, ein fünfzehnjähriges Mädchen, die finanzielle Entschädigung für ein geplatztes Rendez-vous verlangt. Der Junge, der sie versetzt hat, soll die fünfzig Dollar ersetzen, die sie aus Anlaß des High School-Balls für Schuhe, Blumen und Friseur ausgegeben hatte. Der Richter setzte die Verhandlung für Juli an - auch die Jugend darf schließlich vom neuen Zeitvertreib nicht abgehalten werden.

Ein Fall aus Arkansas beweist, daß selbst mutmaßliche Schwerverbrecher beim Gerichtssport mitspielen dürfen, was Golf oder Bowling nicht von sich beaupten können. Ein Mr.Dumond, den man verdächtigt, eine Frau vergewaltigt zu haben, wurde von zwei vermummten Männern angegriffen und kastriert. Der Bezirkssheriff stellte dann die in einem Einweckglas haltbar gemachten Hoden auf seinem Dienstschreibtisch zur Schau. Mr.Dumond klagte nicht auf Körperverletzung und -verstümmelung, sondern auf Verletzung der Intimsphäre durch die unfreiwillige Parade seiner Körperteile. Die Geschworenen sprachen ihm eine Entschädigung von 150.000 Dollar zu, und dies, obwohl der ursprüngliche Vergewaltigungsvorwurf noch nicht geklärt ist. Ein anderer Hodenfall macht in Tennessee von sich reden, wo ein Mr.Lewis Davis und Gattin in Scheidung liegen. Die beiden haben sich gegenseitig auf das Verfügungsrecht über die befruchteten Eier verklagt, die sie vor Jahren in einer Samenbank deponiert haben. Richter W. Dale Young stimmte mit den Davis‘ überein, daß dieser Streit nur vor Gericht geklärt werden könne und akzeptierte den Fall. Als erstes verfügte er, daß für die Dauer der Verhandlung keiner der „Eltern“ die Eier aus dem Gefrierschrank entfernen darf.

Der gemeinschaftliche Selbstmord zweier Jugendlicher in Reno, Nevada, bewegte die Eltern der Jungen zu einer Klage gegen die britische Rockgrupee Judas Priest und ihre Plattenfirma CBS. Offensichtlich haben sich die Jungen ein Judas-Priest-Album angehört, bevor sie sich mit Schießgewehren das Hirn aus dem Schädel bliesen. Die Eltern sehen den Fehler nicht in den emotionalen Problemen der Jungen oder in der leichten Zugänglichkeit von Schußwaffen, sondern in verschlüsselten Todesbotschaften der Judas-Priest -Songs. Bisher sind Klagen, die Rock'n'Roll für Gewalt verantwortlich machen, von den Gerichten abgewiesen worden, dies ist der erste Fall, in dem eine Rockgruppe für Botschaften zur Rechenschaft gezogen werden soll, die weder zu sehen noch zu hören sind.

Es gibt Beobachter der amerikanischen Justiz, die finden, daß zumindest manche dieser Rechtsstreite keineswegs dringlich sind und unser ohnehin sehr stark belastetes Rechtssystem überbeanspruchen. Die einfachste Lösung wäre, mehr Gerichte zu bauen und mehr Richter einzustellen - so wie geschäftstüchtige Unternehmer immer mehr Sportstudios bauen, um dem amerikanischen Gesundheitswahn zu entsprechen. Solange aber die Kosten für die Justiz aus öffentlichen Schatullen bezahlt werden müssen und die Bürger unwillig sind, für ihre Prozesse mehr Steuern aufzuwenden, so die Kritiker, muß auf eine Verminderung der Gerichtsfälle und neue Formen der Unterhaltung hingearbeitet werden. Mein Lieblingsvorschlag zur Erleichterung der Gerichte kommt vom Mitglied des Repräsentantenhauses Charles Poncy aus Iowa, der meint, die Zahl der Vergewaltigungsfälle durch Vergrößerung der Familien verkleinern zu können. „Wenn alle Frauen viele Brüder hätten“, sagt Poncy, „würden diese Vergewaltigungen niemals stattfinden.“

Aus dem Amerikanischen von

Thierry Chervel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen